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B. Schlink, Die Frau auf der Treppe

Rezension Nr. 3

zum Roman ‚Die Frau auf der Treppe‘ von Bernhard Schlink

Inhalt:

Der Ich-Erzähler, Anwalt einer Frankfurter Kanzlei, erlebt als junger Mann im Sommer 1968 eine merkwürdige Geschichte: Damals willigte er ein, einen Vertrag aufzusetzen, der ein Tauschgeschäft – ein Akt-Gemälde gegen eine davongelaufene Ehefrau – zum Inhalt hatte. Nach mehr als 40 Jahren trifft er die Frau und die ‚Tauschpartner‘ wieder.

 

Kritik: … unsere Welt ändert sich nicht mehr …?

Wenn ich, Anni Kloß, ein Buch vom Diogenes Verlag in die Hand nehme, bildet sich in meinem Kopf automatisch eine ganz bestimmte Vorstellung über das, was ich noch gar nicht gelesen habe. Schon durch die äußere Gestaltung des Covers strahlt der Roman  ein ganz eigenes Flair auf mich aus. Beim heute rezensierten Buch erinnere ich mich noch daran, weil ich dieses Empfinden gleich am Anfang aufgeschrieben habe: künstlerisch verträumt, vorrangig in der Gegenwart spielend, aber mit einem Hauch vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts versehen. Die Frau stellt sich mir bildlich wie eine von Tucholskys Frauenfiguren dar. Ich weiß deshalb, dass ich Geduld mit mir haben muss, weil mich bei einem solchen Vorgefühl schnell Langeweile beim Lesen anspringt. Das war auch dieses Mal wieder so.

Doch auf Seite 143, als ich über Irenes Aufenthalt in der DDR las, regte ich mich zuerst auf, weil Schlink die DDR als ein totes Land beschreibt (vor dem der Westen scheinbar immer noch solche Angst hat). Zuerst dachte ich, dass der Autor nur schlecht recherchiert hat, denn er vergleicht das Leben in der DDR mit einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft, einem Biedermeier-Idyll!? – Doch dann erfahre ich, dass die Frau als eine von der BRD gesuchte Terroristin in der DDR untergetaucht war. Das änderte für mich die Situation von Grund auf, und zwar zum Positiven hin, denn mit den Vorstellungen eines solchen Menschen konnte ich die Darstellung der DDR verstehen.

Die Beschreibung der Gegenwart wird vom Kapitalismus beherrscht. Der Mann, der seine Ehefrau gegen das Bild ‚Die Frau auf der Treppe‘ zurücktauschen will, ist steinreicher Kapitalist, der genau weiß, dass die Parteien CDU und SPD seinen Besitz und seine Macht sichern werden: „…Die Geschichte geht weiter. Aber unsere Welt ändert sich nicht mehr …“ (Seite 156).

Der inzwischen erfolgreicher Maler, der das Bild, das er gemalt hat, gegen die Frau, die mit ihm durchgebrannt war, wieder zurückhaben will, hat der Ideologie des Kapitalisten: „Sie sind der Künstler, dem alles zu Gebot steht und der von allem Gebrauch macht und zu dessen Kunst es keine Alternative mehr gibt …“ (Seite 157), außer Sympathie für die Linken, „… die schönen klugen Frauen aus gutem Haus, die sich damals zu den Linken geschlagen haben, aus politischer Überzeugung und weil sie spürten, wo die Avantgarde ist, wo es lebendig und prickelnd zuging …“(Seite 159), nichts entgegenzusetzen.

Der erfolgreiche Rechtsanwalt, der das Tauschgeschäft anwaltlich begleitet hatte, der sich auch in das Weib verliebte, aber bei der Frau als Mann nicht zum Zuge kam, kümmert sich in der Gegenwart um die inzwischen schwer kranke Frau. Er wird vom Kapitalisten abgefertigt: „… Teure Kanzlei, ich weiß, große Fälle, aber immer für andere die Drecksarbeit erledigen – Sie sind ein Lakai. Zuerst waren sie seiner (nickt zum Maler), dann meiner, dann ihrer (zur Frau). Sie halten am besten den Mund …“ (Seite 162)

Schlink schreibt wie gewohnt flüssig, die Handlungsorte passen, der Bezug zur Realität ist gegeben.

Der 70-jährige Autor hat mit der Grundstory eine gute Möglichkeit gefunden, über sein Leben zurückblickend zu philosophieren.

Das ist ihm im großen Ganzen so gelungen, dass es gut lesbar ist.

Bewertung:

  1. Inhalt, Story (Faktor 1): Die Thematik ist interessant, die Story gut entwickelt und logisch aufgebaut.

Bewertung: 4

  1. Der Sachverhalt (Faktor 1), die Situation der Hauptpersonen, die Schilderung der Gesellschaft entspricht der Realität. Auch die Konstruktion des Romans ist nachvollziehbar.

Bewertung: 4

  1. Der Stil (Faktor 1) ist flüssig, nach anfangs etwas langweilig, aber dann interessant.

Bewertung: 4

  1. Recherchen (Faktor 0,5) rufen keinen Widerspruch beim Leser hervor.

Bewertung: 3

  1. Die Handlungsorte (Faktor 0,5) sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 3

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen (Faktor 1): Es sind gute Ansätze dazu vorhanden, aber warum glaubt der Autor, dass unsere Welt sich nicht mehr ändert? Die Hauptaussage der dialektischen Grundgesetze der Entwicklung ist doch meines Erachtens, dass das Erkennen ein unendlicher Prozeß ist. – Oder?

Bewertung: 2

Summe Bewertung: 3

Lutz Seiler, Kruso

Rezension zum Roman ‚Kruso‘ von Lutz Seiler

Für dieses Buch erhielt Seiler 2014 den ‚Deutschen Buchpreis‘

Inhalt:

Edgar – Ed – Bendler, der Hallenser, bricht das Literaturstudium ab. Er flieht vor einer schrecklichen Realität und landet als Saisonkraft (Esskaa) auf der Ostseeinsel Hiddensee. Im Abwasch des Klausners, einer Kneipe hoch über dem Meer, lernt Ed das 12-köpfige Personal, darunter auch den, in der DDR aufgewachsenen, Russen Alexander Krusowitsch – Kruso, kennen. Eine verwirrende, zärtliche Männerfreundschaft beginnt zwischen Kruso, dem stillen, unbenannten, aber anerkannten Herrscher der Insel und Ed, dem Neuling. Von dem Russen wird Bendler eingeweiht in die Rituale der Saisonarbeiter und die Gesetze ihrer Nächte, die für Ed auch unerwartete sexuelle Erlebnisse bringen. Geheimer Motor dieser Gemeinschaft ist Kruso und seine Utopie, die verspricht, jeden Ausreisewilligen oder – wie der Russe es formuliert – den Schiffbrüchigen des Landes DDR und des Lebens, in drei Nächten zu den ‚Wurzeln der Freiheit‘ zu führen. Der Herbst 89 erschüttert auch diese Gruppe auf der Insel. Aber anders, als die Gestalter der Revolution im Land, zerfällt die Gemeinschaft der Aufmüpfigen und endet teilweise tödlich.

Am Ende steht – allein für Ed Bendler – ein Versprechen.

Kritik: Alles Sagen, ohne alles zu sagen?

Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben und basiert, zumindest im letzten Teil, auf einer sehr guten Recherche, die den Spuren jener Menschen folgt, die bei ihrer Flucht über die Ostsee verschollen sind, und führt bis nach Kopenhagen, in die Katakomben der dänischen Staatspolizei.

Die Beschreibung der Insel zeigt, dass der Autor sich gut auf ihr auskennt und auch die Saisonkräfte – die Esskass – sind gut und glaubhaft charakterisiert. Ähnlichen Typen konnte man zu jener Zeit fast überall in der DDR begegnen.

Was aber ist die Story?

Die Helden des Romans, eigentlich unversöhnliche Gegner der Diktatur in der DDR, zumindest empfindet man das so beim Lesen (Seite 306 Bund der Eingeweihten: Untergrund zur Anhäufung innerer Freiheit, ohne Verletzung der Grenzen, ohne Flucht, ohne Ertrinken), enden genau zum Sieg der friedlichen Revolution in der DDR im Zerwürfnis und unverständlicher Selbstzerfleischung, obwohl natürlich auch auf der Insel gewisse Staatsorgane ihre Muskeln nicht nur spielen lassen.

Ist das, philosophisch ausgedrückt, die Negation der Negation?

Zudem erschwert die fast durchgehende  Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge das Verständnis.

Oder fängt da die Kunst an? – Alles sagen, ohne alles zu sagen? – Der Fantasie freien Raum lassen?

Sexuelle Bemerkungen werden in den Text auf irritierende Art eingebunden, z. B. Seite 34: „Aus den Brötchen war ein einziger Brei geworden, er knetete ein paar Kügelchen und drücke eine Sperma ähnliche Flüssigkeit aus dem Teig.“ Dadurch erhalten fast alle sexuellen Szenen einen etwas anrüchigen, schmierigen, manchmal auch stinkenden Beigeschmack.

Andere Emotionen klingen bei Seiler so: Seite 278: Ed umarmt kniend das stinkende Klobecken und brüllt: „Kruso, Kruso“ in die Öffnung hinein.

Oder Seite 471: Ed läuft einer Frisöse hinterher, die in einem Plastiksack die abgeschnittenen Haare wegbringt und  kotzt ihr schreiend vor die Füße.

Zusammenfassend könnte ich meinen Eindruck von dem Buch – vielleicht etwas respektlos – so zusammenfassen: Halb abstrakt, halb mythisch (Seite 45: „Als er den Schrank öffnete, begann die Tür von innen zu schmelzen, in dunklen Wellen.“ oder „Du hast mich geträumt“ oder die Wiederholung von: Gesprungen? – Nicht gesprungen!), halb-homosexuell (Verhältnis Kruso-Ed); halb-Sekte (Die Erleuchteten – vorher Schiffbrüchige), halb schleimig, halb vergammelt, halb eklig (z. B. Seite 80 der Lurch); halb schiffbrüchig, halb flüchtig, halb träumend; halb eingesperrt, halb frei; halb Wahrheit, halb Dichtung; halb Preis, halb Scheiß.

  1. Inhalt, Story: Die Thematik ist zwar interessant, aber die fast durchgehende Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge erschwert doch sehr das Verständnis.

Bewertung: 1

  1. Der Sachverhalt, ähnlich, wie 1. einzuschätzen

Bewertung: 1

  1. Der Stil ist ausgezeichnet.

Bewertung: 5

  1. Recherchen sehr gut.

Bewertung: 5

  1. Die Handlungsorte sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 4

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen: Für mich nur eine halbe Sache

Bewertung: 5/2

Summe Bewertung: 3,3

Mein subjektiver Eindruck rundet ab, also 3 Sterne.

Anni Kloß und Max Balladu

Anni Kloß lockert die Bücher und diese Website  mit Lyrik etwas auf, z. B.:

Buch 7, ‚Wer ist hier der Terrorist?‘ Seite 115

„Mann:
Schönes Weib ich will dich haben,
Will an Deinem Leib mich laben.
Frau:
Das starker Mann will ich doch hoffen
und bin gern für alle Dinge offen
Mann:
Eins muss ich dich noch vorher fragen:
Welche Folgen kann das Ganze haben?
Frau:
Egal, komm zu mir, ich bin schon von Sinnen.
Oder machst Du dich etwa nachher von hinnen?
Faszit:
Es bummst wie verrückt,
zwei sind entzückt.
Die anderen müssen erst sehen
wie sie mit dem Schaden umgehen.“