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Wie die Männer ticken.

Wie die Männer ticken.

Verfasst von Anni Kloß und Max Balladu

„Weißt du Max,“ wandte sich Amateurmalerin Henriette Fabienne Möller an ihren Mann Max Balladu den Amateurautor mehrerer Bücher, „die neue Mikrowelle verstehe ich nicht.“

„Zeig mir mal die Beschreibung Moritz.“

Die gut proportionierte, schön anzusehende Frau hörte diese Anrede, sie stammte noch aus der Zeit ihres Kennenlernens vor vielen Jahren, gern, denn sie wirkte auf sie sehr freundlich, fast liebevoll. Inzwischen nutzte sie diesen Namen in Verbindung mit ihren Initialen auch als Pseudonym ‚H. F. Moritz‘ für ihre Bilder, die zum Teil auf den Covern der Balladu-Bücher prangten und, zumindest ab und zu, für das Lektorat mancher Romane des Mannes. Das schon fortgeschrittene Lebensalter hatte der Möller – fast – nichts anhaben können. Sie drückte lächelnd dem beinahe gleichaltrigen, schlanken und immer noch sportlich wirkenden Mann, eine kleine A5 Broschüre in die Hand. Weiter still vor sich hinlächelnd sah sie zu, wie der Ingeniör i. R., wie er sich selber betitelte, zu lesen begann.

Genau damit fingen die Unterscheide zwischen den Beiden schon an. Während die Frau einfach drauflos probierte, das heißt in diesem Falle einen Knopf nach dem anderen drückte, immer von einem Piep begleitet, bis sie entnervt aufgab, weil das Gerät nun keinen Ton mehr von sich gab, machte der Mann sich immer erst geduldig über die Anleitung her und erst dann, wenn er glaubte das System erkannt zu haben, begann er damit die Knöpfe zu drücken.

Balladu betrachtete die 9 untereinander liegenden Fingerkuppen großen, sich kaum vom Untergrund abhebenden Druckknöpfe. Eigentlich waren das nur kleine Dellen in einer glatt-glänzenden Oberfläche. Er sah noch einmal kurz ins Buch, dann drückte er einen Knopf und die kleine, aber gut sichtbare digitale Anzeige, direkt oberhalb der Druckknöpfe, leuchtete auf und zeigte vier durch einen Doppelpunkt getrennte rote Nullen.

Eine Weile hatte die Frau noch geduldig daneben gestanden, doch dann wurde ihr das zu langweilig und sie verließ die Küche, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Es hat ihr zwar auf der Zuge gelegen, dem Mann Ratschläge zu erteilen, aber dann hätte er sie ja doch nur kurz und knapp abgewiesen. Das war ihr schon so oft passiert und manchmal konnte das auch weh tun, obwohl sie genau wusste, dass es von ihm nie böse gemeint war. Im Prinzip hatte er wohl auch Recht, denn zu unterschiedlich waren ihrer beider Herangehensweisen. Natürlich wusste sie das längst, hielt sie aber oft nicht davon ab, es dennoch zu tun, sich einzumischen. Die zweite Abweisung des Mannes hörte sich dann auch entsprechend aggressiver an und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Da in dem kleinen Reihenhäuschen alle Räume, von Kellerflur bis in die erste Etage, gleichmäßig beheizt wurden, standen fast immer alle Türen offen. So hörte sie also, wie es plötzlich aus der Küche wieder piepte. Sie verharrte mit ihrer Arbeit, lauschte, doch es hörte nicht auf, unrhythmisch zu piepen. Langsam ging die Möller zurück in die Küche, sah ihren Mann jetzt kopfschüttelnd vor dem Gerät stehen, abwechselnd ins Buch und dann auf die Knöpfe der Mikrowelle sehend. Nach kurzer Zeit, die Frau stand jetzt direkt neben ihm, sah sie, dass auf der Anzeige irgendwelche Zahlen standen. Er drückte noch einen Knopf und nun zeigte die Anzeige wieder 00:00.

„Vielleicht solltest du zuerst die Zeit einstellen?“ schlug die Möller vor.

„Ich weiß zumindest, was die Knöpfe bedeuten. Siehst du hier,“ er zeigte auf den obersten Knopf direkt unterhalb der digitalen Anzeige, „damit stellt man die Leistung von P100-P10 ein. Darunter folgt die Auswahl der Garart, also Grillen, Mikrowelle oder Kombinationen. Dann folgt mit Convection,“ er zeigte auf den dritten Knopf von oben, „eine Temperatureinstellung. Was das genau bedeutet habe ich noch nicht verstanden. Es muss etwas mit vorwärmen auf eine bestimmte Temperatur zu tun haben. Der nächste Knopf dient der Einstellung des Gewichts des Gargutes. Mit dem Fünften, das scheint mir wieder wichtig, kann man Uhrzeit und  Kochzeit einstellen,“ er sah seine Frau kurz an, bevor er den Kopf drückte – piep. Die erste Zahl in der Anzeige blinkte. „Da,“ er sah auf die Uhr, „zehn Uhr dreißig,“ Balladu fuhr mit dem Finger über den direkt darunter liegenden Knopf hinweg, mit der Bemerkung, „Achtung! Der 6. Taster bedeutet ‚Stopp/Clear‘, meint somit auch löschen und dann muss du wieder von vorne anfangen. Also sollte ich jetzt auf den Siebenten drücken, der mit  einem Pfeil nach oben, leider kaum sichtbar, gekennzeichnet ist.“ Es piepte, die erste Zahl erhöhte sich mit jedem weiteren  Piep von 1 bis auf 10. Max drückte wieder auf den Fünften mit der Beschriftung ‚Clock‘, die erste Zahl blieb bei 10 stehen und die zweite begann zu blinken. Der Mann drückte erneut, jetzt aber dauerhaft auf den fast unsichtbaren Pfeilkopf nach oben, die Zahlen liefen schnell von Null über die dreißig hinweg. „Oh, 34, das war zu weit, aber kein Problem,“ er drückte den mit einem ebenso unsichtbaren Pfeilkopf nach unten gekennzeichneten Knopf, also den 8., nun wieder langsam, so dass nach vier Piepsern die 30 blinkte und er den Vorgang durch erneute Betätigung der fünften Taste abschloss. „Das ist einfach, aber Achtung vor der Taste Nr. 6! … doch lass uns erst einmal weitermachen,“ er zeigte auf den 9. und letzten Knopf, „da steht ‚Start/+30sec/confirm‘, klingt umständlich, aber es besagt wohl, dass damit sowohl der Kochvorgang gestartet als auch die anderen notwendigen Daten nach deren Eingabe, bestätigt werden müssen, denn confirm heißt so viel wie bestätigen.“

„Die alte war viel einfacher.“

„Da stimme ich dir zu, Moritz, aber wir schaffen das auch mit diesem, an sich ja sehr guten Gerät.“

„Ja, ja, das wollte ich ja auch haben, weil innen alles aus Edelstahl und nicht aus Keramik ist,“ sie sah eine Bemerkung erwartend zu ihrem Mann, doch als der schwieg, fuhr sie fort, „die Keramik ist zu schnell von der Wandung abgesprungen und dann…“

„…korrodiert das Gehäuse. Wir werden schon klarkommen, wir lernen das. Wollen wir zusammen nochmal alles durchgehen?“

„Lass mich es nochmal allein versuchen, Ja?“

„Na klar. Mach das. Ich setze mich an den Computer und überlege, wie wir die Knöppe besser kennzeichnen könnten.“

Als Balladu um halb zwei mit einem A4-Zettel in der Hand wieder aus dem Keller, wo sich sein Arbeitsraum, in dem ehemaligen Kinderzimmer ihres längst erwachsenen und bereits vor Jahren ausgezogenen Sohnes, befand, saß die Frau im Wohnzimmer auf ihrem Stammplatz links neben der Tür in der Ecke und löste Kreuzworträtsel, eine ihrer Lieblingstätigkeiten. „Na, weißt du jetzt Bescheid, Moritz?“

„Ich hab‘ aufgegeben. Das ist alles zu verwirrend.“

„Verstehe. Außerdem funktionieren die Druckknöpfe nicht besonders gut. Erst muss man sie ertasten und dann sehr kräftig drücken. Trifft man nicht genau den Kopf, dann piepts auch nicht.“ Während er das sagte schwenkte er sein Blatt Papier hin und her.

„Was hast du da?“

„Ach ja,“ sagte Balladu, als ob er das Blatt bereits vergessen hatte, „das ist eine Skizze mit allen Knöpfen und einer genauen Bezeichnung mit roter Umrandung für die wichtigsten, die anderen schwarz. Vielleicht sollten wir an die Knöpfe entsprechende Zahlen ankleben?“ Er legte der Frau das Papier auf den Tisch. „Was meinst du?“

Die Möller betrachtete das Bild nur kurz, „ist immer noch zu kompliziert – finde ich.“

Balladu dachte schweigend nach.

„Vielleicht nur die roten Zahlen?“ fügte die Frau hinzu.

„Gute Idee. Ich denke, dass wir ohnehin nur drei Tasten brauchen. Zumindest am häufigsten brauchen.“

„Drei Tasten!“ konstatierte die Frau, „das könnte mir gefallen.“

„Hast du etwas zum Ankleben? Etiketten oder so? Dann mach ich das.“

„Gib mir Deine Skizze, ich finde was und dann mache ich das.“

„Gut. Wir sollten vielleicht unterschiedliche Farben wählen. Das wichtigste wäre, die Taste 6 ‚Stopp/Clear‘ rot zu kennzeichnen und die andern vielleicht grün?“

„Ich denk darüber nach und mache das.“

Sie absolvierten wie jeden Tag ihren Spaziergang, danach widmete sich zu Hause wieder jeder seinem eigenen Hobby. Balladu ging zurück in den Keller, nicht ohne vorher sein Abendbrot vorprogrammiert in die Röhre geschoben zu haben, während die Möller sich ins Wohnzimmer zu ihren Rätseln setzte. Aus ‚Diät‘ Gründen verzichtete sie auf ein Abendbrot.

Als um 18 Uhr die Bratröhre in der Küche zu piepen begann, stand Balladu auf, speicherte seine Arbeit, inzwischen machte er das aus Sicherheitsgründen mindestens zehnmal am Tag, ging die Treppe nach oben, um sein Abendessen aus der Röhre zu holen. Als erstes warf er aber doch kurz einen Blick auf die Mikrowelle, stutze, ging näher und … lachte schallend los. Es dauerte nur Sekunden, da stürzte seine Frau in die Küche, „was ist los? Ist was passiert?“

„Und ob meine liebes Weib,“ er zeigte auf die Mikrowelle, „das ist der Beweis!“

„Was denn für ein Beweis? Gefällt dir das nicht mit den zwei roten und dem einen grünen Punkt?“

„Doch, doch, das hast du wunderbar gemacht!“ Dennoch lachte der Mann weiter.

„Aber worüber lachst du denn dann?“

„Über eine Erkenntnis mein Moritz, eine Erkenntnis über die sich schon viele Männer den Kopf zerbrochen haben.“

„Ja und, was soll das denn sein?“

„Wie Frauen ticken!“

„Aber was hat das mit unserer Mikrowelle zu tun?“

„Sie mal Frau,“ wieder zeigte er auf die Pünktchen, die sie angebracht hatte, „du hast die beiden Knöpfe Zeit und Start rot gekennzeichnet und die Stopptaste grün. Ich hätte es genau umgedreht gemacht, verstehst du?“

Die Möller sah zur Mikrowelle, dachte angestrengt nach, sah zurück auf ihren Mann, „na gut, mein Mann, aber dann kann ich dir jetzt genauso gut sagen, dass ich endlich verstanden habe,“ sie machte eine kleine Pause, sie sah, dass ihr Mann voller Aufmerksamkeit war und fuhr fort, „wie die Männer ticken.“

„Volltreffer!“ stimmte Balladu zu und beide lachten aus vollem, und für den Moment zufriedenem, Herzen.

Nachbemerkung:

Die erste Fassung dieser Geschichte hatte mein Freund Balladu verfasst. Bei ihm sollte der Titel heißen ‚Wie Frauen ticken‘, aber dann fand er, dass dieser Name sofort die Feministinnen auf den Plan rufen könnte und reichte den Entwurf an mich weiter. Das fand ich auch gut, denn es liegt ja auf der Hand, dass das Thema logischer Weise aus beiden Richtungen betrachtet werden kann. Und ich denke sogar, betrachtet werden muss. Auf gar keinen Fall sollte mit der Überschrift weder die Frau noch der Mann zum Sündenbock gemacht oder ganz und gar hintergangen werden. Deshalb ist obige Geschichte das Werk von Mann und Frau.

Wie gut, wenn Mann und Frau auch ‚nur‘ Freunde sein können.

Balladus neues Buch: ‚Lose Blätter‘

Hallo liebe Lesefreunde! 

Mit dem 9. Buch veröffentlicht Max Balladu als Herausgeber eine Anthologie unter dem Titel: 

‚Lose Blätter‘ 

eine Blütenlese mit Erzählungen und Gedichten von: 

EWa, Jörg Körner, Anni Kloß, Mimi H, Heiz Schubert, Helene Paetz und Max Balladu.

 Wie bereits bei den vorherigen Lesungen stellt in diesem Falle der Herausgeber das neue Buch in zwei öffentlichen Buchlesungen vor:

Inhalt:

  1. Lesung ‚Aller Anfang ist schwer‘

Gedicht A. Kloß ‚Revolution auf ostdeutsch‘

  1. Lesung Ewa ‚Weggefährten (1)‘

Gedicht Helene Paetz ‚Trag dein Leid‘

  1. Lesung Körner ‚Sittenstrolch‘
  2. Lesung Balladu ‚Kreis‘ (oder Altersheim)

Gedicht Kloß ‚Schweigen‘ (oder Schubert Herbstlied) 

Es können auch Bücher von Balladu erworben werden.

 

 

 

B. Schlink, Die Frau auf der Treppe

Rezension Nr. 3

zum Roman ‚Die Frau auf der Treppe‘ von Bernhard Schlink

Inhalt:

Der Ich-Erzähler, Anwalt einer Frankfurter Kanzlei, erlebt als junger Mann im Sommer 1968 eine merkwürdige Geschichte: Damals willigte er ein, einen Vertrag aufzusetzen, der ein Tauschgeschäft – ein Akt-Gemälde gegen eine davongelaufene Ehefrau – zum Inhalt hatte. Nach mehr als 40 Jahren trifft er die Frau und die ‚Tauschpartner‘ wieder.

 

Kritik: … unsere Welt ändert sich nicht mehr …?

Wenn ich, Anni Kloß, ein Buch vom Diogenes Verlag in die Hand nehme, bildet sich in meinem Kopf automatisch eine ganz bestimmte Vorstellung über das, was ich noch gar nicht gelesen habe. Schon durch die äußere Gestaltung des Covers strahlt der Roman  ein ganz eigenes Flair auf mich aus. Beim heute rezensierten Buch erinnere ich mich noch daran, weil ich dieses Empfinden gleich am Anfang aufgeschrieben habe: künstlerisch verträumt, vorrangig in der Gegenwart spielend, aber mit einem Hauch vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts versehen. Die Frau stellt sich mir bildlich wie eine von Tucholskys Frauenfiguren dar. Ich weiß deshalb, dass ich Geduld mit mir haben muss, weil mich bei einem solchen Vorgefühl schnell Langeweile beim Lesen anspringt. Das war auch dieses Mal wieder so.

Doch auf Seite 143, als ich über Irenes Aufenthalt in der DDR las, regte ich mich zuerst auf, weil Schlink die DDR als ein totes Land beschreibt (vor dem der Westen scheinbar immer noch solche Angst hat). Zuerst dachte ich, dass der Autor nur schlecht recherchiert hat, denn er vergleicht das Leben in der DDR mit einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft, einem Biedermeier-Idyll!? – Doch dann erfahre ich, dass die Frau als eine von der BRD gesuchte Terroristin in der DDR untergetaucht war. Das änderte für mich die Situation von Grund auf, und zwar zum Positiven hin, denn mit den Vorstellungen eines solchen Menschen konnte ich die Darstellung der DDR verstehen.

Die Beschreibung der Gegenwart wird vom Kapitalismus beherrscht. Der Mann, der seine Ehefrau gegen das Bild ‚Die Frau auf der Treppe‘ zurücktauschen will, ist steinreicher Kapitalist, der genau weiß, dass die Parteien CDU und SPD seinen Besitz und seine Macht sichern werden: „…Die Geschichte geht weiter. Aber unsere Welt ändert sich nicht mehr …“ (Seite 156).

Der inzwischen erfolgreicher Maler, der das Bild, das er gemalt hat, gegen die Frau, die mit ihm durchgebrannt war, wieder zurückhaben will, hat der Ideologie des Kapitalisten: „Sie sind der Künstler, dem alles zu Gebot steht und der von allem Gebrauch macht und zu dessen Kunst es keine Alternative mehr gibt …“ (Seite 157), außer Sympathie für die Linken, „… die schönen klugen Frauen aus gutem Haus, die sich damals zu den Linken geschlagen haben, aus politischer Überzeugung und weil sie spürten, wo die Avantgarde ist, wo es lebendig und prickelnd zuging …“(Seite 159), nichts entgegenzusetzen.

Der erfolgreiche Rechtsanwalt, der das Tauschgeschäft anwaltlich begleitet hatte, der sich auch in das Weib verliebte, aber bei der Frau als Mann nicht zum Zuge kam, kümmert sich in der Gegenwart um die inzwischen schwer kranke Frau. Er wird vom Kapitalisten abgefertigt: „… Teure Kanzlei, ich weiß, große Fälle, aber immer für andere die Drecksarbeit erledigen – Sie sind ein Lakai. Zuerst waren sie seiner (nickt zum Maler), dann meiner, dann ihrer (zur Frau). Sie halten am besten den Mund …“ (Seite 162)

Schlink schreibt wie gewohnt flüssig, die Handlungsorte passen, der Bezug zur Realität ist gegeben.

Der 70-jährige Autor hat mit der Grundstory eine gute Möglichkeit gefunden, über sein Leben zurückblickend zu philosophieren.

Das ist ihm im großen Ganzen so gelungen, dass es gut lesbar ist.

Bewertung:

  1. Inhalt, Story (Faktor 1): Die Thematik ist interessant, die Story gut entwickelt und logisch aufgebaut.

Bewertung: 4

  1. Der Sachverhalt (Faktor 1), die Situation der Hauptpersonen, die Schilderung der Gesellschaft entspricht der Realität. Auch die Konstruktion des Romans ist nachvollziehbar.

Bewertung: 4

  1. Der Stil (Faktor 1) ist flüssig, nach anfangs etwas langweilig, aber dann interessant.

Bewertung: 4

  1. Recherchen (Faktor 0,5) rufen keinen Widerspruch beim Leser hervor.

Bewertung: 3

  1. Die Handlungsorte (Faktor 0,5) sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 3

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen (Faktor 1): Es sind gute Ansätze dazu vorhanden, aber warum glaubt der Autor, dass unsere Welt sich nicht mehr ändert? Die Hauptaussage der dialektischen Grundgesetze der Entwicklung ist doch meines Erachtens, dass das Erkennen ein unendlicher Prozeß ist. – Oder?

Bewertung: 2

Summe Bewertung: 3

Lutz Seiler, Kruso

Rezension zum Roman ‚Kruso‘ von Lutz Seiler

Für dieses Buch erhielt Seiler 2014 den ‚Deutschen Buchpreis‘

Inhalt:

Edgar – Ed – Bendler, der Hallenser, bricht das Literaturstudium ab. Er flieht vor einer schrecklichen Realität und landet als Saisonkraft (Esskaa) auf der Ostseeinsel Hiddensee. Im Abwasch des Klausners, einer Kneipe hoch über dem Meer, lernt Ed das 12-köpfige Personal, darunter auch den, in der DDR aufgewachsenen, Russen Alexander Krusowitsch – Kruso, kennen. Eine verwirrende, zärtliche Männerfreundschaft beginnt zwischen Kruso, dem stillen, unbenannten, aber anerkannten Herrscher der Insel und Ed, dem Neuling. Von dem Russen wird Bendler eingeweiht in die Rituale der Saisonarbeiter und die Gesetze ihrer Nächte, die für Ed auch unerwartete sexuelle Erlebnisse bringen. Geheimer Motor dieser Gemeinschaft ist Kruso und seine Utopie, die verspricht, jeden Ausreisewilligen oder – wie der Russe es formuliert – den Schiffbrüchigen des Landes DDR und des Lebens, in drei Nächten zu den ‚Wurzeln der Freiheit‘ zu führen. Der Herbst 89 erschüttert auch diese Gruppe auf der Insel. Aber anders, als die Gestalter der Revolution im Land, zerfällt die Gemeinschaft der Aufmüpfigen und endet teilweise tödlich.

Am Ende steht – allein für Ed Bendler – ein Versprechen.

Kritik: Alles Sagen, ohne alles zu sagen?

Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben und basiert, zumindest im letzten Teil, auf einer sehr guten Recherche, die den Spuren jener Menschen folgt, die bei ihrer Flucht über die Ostsee verschollen sind, und führt bis nach Kopenhagen, in die Katakomben der dänischen Staatspolizei.

Die Beschreibung der Insel zeigt, dass der Autor sich gut auf ihr auskennt und auch die Saisonkräfte – die Esskass – sind gut und glaubhaft charakterisiert. Ähnlichen Typen konnte man zu jener Zeit fast überall in der DDR begegnen.

Was aber ist die Story?

Die Helden des Romans, eigentlich unversöhnliche Gegner der Diktatur in der DDR, zumindest empfindet man das so beim Lesen (Seite 306 Bund der Eingeweihten: Untergrund zur Anhäufung innerer Freiheit, ohne Verletzung der Grenzen, ohne Flucht, ohne Ertrinken), enden genau zum Sieg der friedlichen Revolution in der DDR im Zerwürfnis und unverständlicher Selbstzerfleischung, obwohl natürlich auch auf der Insel gewisse Staatsorgane ihre Muskeln nicht nur spielen lassen.

Ist das, philosophisch ausgedrückt, die Negation der Negation?

Zudem erschwert die fast durchgehende  Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge das Verständnis.

Oder fängt da die Kunst an? – Alles sagen, ohne alles zu sagen? – Der Fantasie freien Raum lassen?

Sexuelle Bemerkungen werden in den Text auf irritierende Art eingebunden, z. B. Seite 34: „Aus den Brötchen war ein einziger Brei geworden, er knetete ein paar Kügelchen und drücke eine Sperma ähnliche Flüssigkeit aus dem Teig.“ Dadurch erhalten fast alle sexuellen Szenen einen etwas anrüchigen, schmierigen, manchmal auch stinkenden Beigeschmack.

Andere Emotionen klingen bei Seiler so: Seite 278: Ed umarmt kniend das stinkende Klobecken und brüllt: „Kruso, Kruso“ in die Öffnung hinein.

Oder Seite 471: Ed läuft einer Frisöse hinterher, die in einem Plastiksack die abgeschnittenen Haare wegbringt und  kotzt ihr schreiend vor die Füße.

Zusammenfassend könnte ich meinen Eindruck von dem Buch – vielleicht etwas respektlos – so zusammenfassen: Halb abstrakt, halb mythisch (Seite 45: „Als er den Schrank öffnete, begann die Tür von innen zu schmelzen, in dunklen Wellen.“ oder „Du hast mich geträumt“ oder die Wiederholung von: Gesprungen? – Nicht gesprungen!), halb-homosexuell (Verhältnis Kruso-Ed); halb-Sekte (Die Erleuchteten – vorher Schiffbrüchige), halb schleimig, halb vergammelt, halb eklig (z. B. Seite 80 der Lurch); halb schiffbrüchig, halb flüchtig, halb träumend; halb eingesperrt, halb frei; halb Wahrheit, halb Dichtung; halb Preis, halb Scheiß.

  1. Inhalt, Story: Die Thematik ist zwar interessant, aber die fast durchgehende Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge erschwert doch sehr das Verständnis.

Bewertung: 1

  1. Der Sachverhalt, ähnlich, wie 1. einzuschätzen

Bewertung: 1

  1. Der Stil ist ausgezeichnet.

Bewertung: 5

  1. Recherchen sehr gut.

Bewertung: 5

  1. Die Handlungsorte sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 4

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen: Für mich nur eine halbe Sache

Bewertung: 5/2

Summe Bewertung: 3,3

Mein subjektiver Eindruck rundet ab, also 3 Sterne.

Anni Kloß und Max Balladu

Anni Kloß lockert die Bücher und diese Website  mit Lyrik etwas auf, z. B.:

Buch 7, ‚Wer ist hier der Terrorist?‘ Seite 115

„Mann:
Schönes Weib ich will dich haben,
Will an Deinem Leib mich laben.
Frau:
Das starker Mann will ich doch hoffen
und bin gern für alle Dinge offen
Mann:
Eins muss ich dich noch vorher fragen:
Welche Folgen kann das Ganze haben?
Frau:
Egal, komm zu mir, ich bin schon von Sinnen.
Oder machst Du dich etwa nachher von hinnen?
Faszit:
Es bummst wie verrückt,
zwei sind entzückt.
Die anderen müssen erst sehen
wie sie mit dem Schaden umgehen.“

Was mir wichtig ist.

Nicht nur am 1. Mai 2019

  1. Löhne rauf in ganz Europa.

Armutsfeste Mindestlöhne müssen Pflicht werden. In Deutschland sind das 12 Euro pro Stunde. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort statt Billigkonkurrenz!

  1. Tarifverträge stärken.

Öffentliche Aufträge dürfen nur noch an Betriebe gehen, die Tarifbindung haben und regional und fair wirtschaften. Tarifverträge müssen auf Antrag der Gewerkschaft allgemeinverbindlich werden.

  1. Mehr Zeit zum Leben. Gleicher Lohn.

Statt Überstunden und Dauerstress für die einen und unfreiwillige Teilzeit für die anderen: Jeder und Jede hat das Recht auf mindestens 22 Wochenstunden. Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn auf um die 30 Stunden.

  1. Konzerne müssen an die Kette.

Wir wollen Mindeststeuern für Unternehmen und große Vermögen, damit die Steueroasen in Europa geschlossen werden.

  1. Macht Europa sozial:

Dazu braucht der Kontinent ein Alarmsystem gegen Erwerbslosigkeit und prekäre Beschäftigung. Mindesteinkommen und Mindestrente müssen vor Armut schützen. Die Unternehmen und Reichen müssen ihren gerechten Beitrag leisten.

 

Drei Dinge…

 

Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen:

Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus.

Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig.

Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent.

Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.

FÜR EIN GERECHTES UND FRIEDLICHES LAND

Ein Entwurf eines Gründungsaufrufs von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine:

#fairLand

Wir gehören unterschiedlichen Parteien an oder sind parteilos. Aber #fairLand ist keine Mixtur verschiedener Parteien und schon gar keine neue Partei. #fairLand ist eine überparteiliche Bewegung, in die jeder, der ihre Ziele unterstützt, sich einbringen kann. Weil die Probleme sich auf den eingefahrenen Gleisen nicht mehr lösen lassen, bedarf es eines neuen Aufbruchs.

Wir wollen nicht mehr zusehen, wie unser Land gegen die Interessen der großen Mehrheit regiert wird. Die Sprachlosen brauchen eine Stimme und die Unsichtbaren eine Bühne. Wir fordern eine Demokratie für alle und nicht nur für die Wohlhabenden. Glaubwürdige Politik muss das Rückgrat haben, Konflikte mit mächtigen Interessengruppen, etwa der Finanzwirtschaft oder den Superreichen, durchzustehen.

Wir wissen, dass unsere Forderungen von vielen unterstützt werden. Wir wissen aber auch, dass Mehrheiten nur dann zu einer Macht werden, wenn sie sich zusammenschließen. Was die

Wirtschaftslobbys durch Geld erreichen, müssen wir durch unsere Stärke und Resonanz schaffen: Wir wollen die Parteien zwingen, unseren Interessen Rechnung zu tragen.

Unsere Ziele sind:

  1. Zurück zur Friedenspolitik Willy Brandts: für Abrüstung, Entspannung und eine eigenständige Politik, die europäische Interessen in den Mittelpunkt stellt
  2. Sichere Arbeitsplätze und gute Löhne in einer innovativen Wirtschaft: der deutsche Binnenmarkt muss gestärkt und die Abhängigkeit von Exportüberschüssen überwunden werden. Die Digitalisierung muss zu einer Umverteilung von Arbeit führen: weniger Stress für alle, statt Arbeitslosigkeit für die einen und Überarbeitung in zunehmend prekären Jobs für die anderen
  3. Ein erneuerter starker Sozialstaat, der Armut verhindert: für Renten, die den Lebensstandard im Alter sichern, eine gute Gesundheitsversorgung unabhängig vom Einkommen und eine solide Arbeitslosenversicherung statt Enteignung durch Hartz IV
  4. Privatisierungen stoppen und zurücknehmen, Gemeinwohl ist wichtiger als Rendite: Für bezahlbares Wohnen und gut ausgestattete Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, gegen die Privatisierung von Verkehr und Infrastruktur
  5. Gerechte Steuern: untere und mittlere Einkommen entlasten, große Vermögen und Großunternehmen stärker heranziehen, den Steuertricks der Konzerne durch nationale Quellensteuern den Boden entziehen
  6. Exzellente Bildung für alle: frühkindliche Bildung und mehr Lehrer für bessere Lebenschancen; der Bildungserfolg darf keine Frage der Herkunft sein
  7. Demokratie wiederherstellen: wir wollen nicht von Konzernen und Banken regiert werden
  8. Sicherheit im Alltag: mehr Personal und bessere Ausstattung von Polizei und Justiz statt Symbolpolitik
  9. Ein europäisches Deutschland in einem geeinten Europa souveräner Demokratien, bei Wahrung kultureller Eigenständigkeit und mit Respekt vor Tradition und Identität. Wir wollen kein Europa, in dem selbstherrliche Brüsseler Kommissare oder Berliner Politiker den einzelnen Ländern vorschreiben, wie sie ihre Politik zu gestalten haben
  10. Hilfe für Menschen in Not: Das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten, Waffenexporte in Spannungsgebiete stoppen und unfaire Handelspraktiken beenden, Armut vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven schaffen
  11. Naturverträglich Wirtschaften: damit wir unseren Kindern eine intakte Natur und ein lebensfreundliches Klima hinterlassen. Saubere Luft und sauberes Wasser sind ein wichtiger Teil der Lebensqualität

Dieser Aufruf wird hier deshalb veröffentlicht, weil er inhaltlich dem entspricht, was seit Jahren auf den Webseiten von Mensch0815  veröffentlicht worden ist.

Max Balladu und Anni Kloß

Kurt Tucholsky: An das Publikum

O hochverehrtes Publikum,
sag mal: Bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: "Das Publikum will es so!"
Jeder Filmfritze sagt: "Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!"
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
"Gute Bücher gehn eben nicht!"
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
Aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte...
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?

Ja dann...
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmässigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Griesbrei-Fresser-?
Ja, dann...
Ja, dann verdienst dus nicht besser.