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Der Bohrarbeiter und die Philosophie

Boberow (Mecklenburg), 12. Juni 1964

„Leute, wir müssen die drei beschädigten Meißel an den Straßenrand holen“, schimpfte Bohrmeister Boge, hüpfte wie Rumpelstilzchen um seine drei Bohrarbeiter herum und fügte dann als Erklärung noch hinzu, „in einer halben Stunde kommt der Transport und da sollen – da müssen! – die mit, verdammt!“

Der dreiunddreißigjährige Erwin Schmiedefeld, dünn wie eine Bohnenstange, mindesten einen Meter neunzig groß, drahtig und zäh runzelte seine braun gebrannte Stirn und schüttelte verständnislos seinen Kopf. „Wieso fährst du die Dinger nicht mit der Planierraupe hierher?“

Der Bohrleiter fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. „Mensch, das hätte ich doch längst gemacht, Erwin, aber die ist kaputt und die Reparatur dauert zu lange. Verdammte Scheiße!“

Der bullige, muskelbepackte, gegenüber Schmiedefeld zwei Köpfe kleinere Fritz Krause brummte, „dann müssen sie eben erst morgen weggebracht werden.“

„Auf keinen Fall!“, regte sich Boge wieder auf, „wir haben keinen Ersatz mehr. Die müssen heute mit, damit sie schnell repariert werden können.“

In die eingetretene Stille hinein fragte Thomas Prost, „wo liegen denn die Meißel?“

Boge zeigte mit der ausgestreckten rechten Hand über eine aufgewühlte Sandwüste zur anderen Seite der Bohranlage schräg vorbei an dem fünfundvierzig Meter hohen Turm. „Das sind mindestens zweihundert Meter.“

„Und“, Prost hob kurz seine Arme an, „wie schwer ist so ein Meißel?“

Während Schmiedefeld und Krause stirnrunzelnd ihren Kurzzeit-Kollegen ansahen, erklärte Boge gleichmütig. „Na ja, der Tiefbohrmeißel mit seinen drei Rollen aus Hartstahl, die in einem Rohr zusammengeführt werden, wird so seine eineinhalb Zentner wiegen.“

Prost überlegte kurz.

„Das sind also fünfundsiebzig Kilogramm. Die bringt ein achtzig Kilogramm schwerer Sportsmann zur Hochstrecke. – Aber – der Weg ist natürlich ganz schön lang.“

Prosts Kollegen Krause und Schmiedefeld brachen in schallendes Gelächter aus, in das Boge mit eintaktete, als er begriffen hatte, was der zukünftige Student der Verfahrenstechnik da gerade von sich gegeben hatte.

Thomas Prost war am 30. 4. 1964, nach zwei Jahren und acht Monaten Dienstzeit, ehrenvoll aus den Reihen der NVA mit dem Dienstgrad Unteroffizier entlassen worden. Sein Studium der Verfahrenstechnik an der TH in Merseburg begann aber erst am 1. September. Deshalb fackelte er nicht lange und sah sich, zur sinnvollen Überbrückung dieser Zeit, nach einer Arbeit um. Als ihm sein Vater von den Erdölbohrarbeiten erzählte, bewarb er sich sofort bei der Firma als Kraftfahrer. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass eine Arbeit als Kraftfahrer nicht möglich wäre, ihm aber ein Job als Bohrarbeiter angeboten werden kann, sagte er sofort zu. Prost liebte schwere Arbeiten, das war schon während seiner Kindheit in einem kleinen altmärkischen Dorf so gewesen. Bei der Armee hatte er sich aus eigenem Antrieb fit gehalten, sonst wäre er dort dick und fett geworden. Prost war deshalb heute immer noch gut in Form und seine Worte keineswegs nur so daher gesprochen. Er wartete geduldig bis seine Kollegen aufgehört hatten zu lachen.

„Erwin, wenn ich mit dem ersten Meißel hundert Meter geschafft habe, kümmerst du dich dann um den Zweiten?“

Schmiedefeld überlegte. Er konnte den schlaksigen Jüngling von Anfang an gut leiden, weil der richtig derb zupacken konnte, einem eher die Arbeit wegnahm, als sie einem zuschob und man konnte kluge Gespräche mit ihm führen. Er verzog das Gesicht zu einem kleinen Lächeln, weil er sich an ihre philosophischen Gespräche der letzten Tage erinnerte. Vor Beginn einer Frühschicht hatte Thomas Prost zu ihm gesagt, „weißt du Erwin wie ungeschickt ich mich am Anfang hier auf dem Bohrturm angestellt habe?“ er drehte den Kopf zu seinem Kollegen, sah dass der ihm aufmerksam zuhörte und fuhr lächelnd fort, „ich habe anfangs zehnmal so viel Kraft gebraucht, als ich das jetzt muss. Damals war ich zum Feierabend total geschafft, jetzt komme ich nicht mal mehr ins Schwitzen,“ wieder sah er seinem Kumpel Erwin in die Augen, aber der lauschte nach wie vor seinen Worten, „jetzt kenne ich alle Handgriffe, benutze sie effektiv, genau mit der richtigen Kraftaufwendung. Ist doch interessant, Erwin? Oder?“

„‘Das Umschlagen von Quantität in Qualität‘,“ antwortete der trocken, so dass Prost verblüfft schwieg.

„Erstes dialektisches Grundgesetz,“ fügte Erwin grinsend hinzu. Schmiedefeld machte dieses Gespräche Spaß. Der Junge hörte einem richtig zu, antwortete kurz, präzise und er besaß Humor. Menschen ohne Humor strengten Erwin zu sehr an. Behauptete er zumindest von sich.

„Na mach’ mal, Thomas,“ sagte Schmiedefeld, „dann sehen wir weiter.“

Sie gingen beide in die vom Bohrleiter gezeigte Richtung. Als Thomas sich zu dem ersten Meißel hinunter beugte, um fürs Tragen den besten Griff zu finden, bemerkte er, dass auch Krause mitgekommen war. Prost griff in die Aushöhlungen, in denen sich die wie Kegelräder geformten Kreisel befanden, hob den Meißel kurz an und setzt ihn wieder ab.

„Na, wohl doch zu schwer, du Angeber?“ Krause grinste breit.

Prost ließ sich nicht stören, griff erneut zu, hob den Meißel jetzt noch ein Stück höher, sodass er genug Bewegungsfreiheit für seine Beine hatte, sein Schoß konnte auf die Art ein wenig beim Tragen helfen.  Der junge Mann watschelte ziemlich zügig  los. Krause sah ihm mit verbissenem Gesicht hinterher, während Erwin lächelte.

Als Schmiedefeld sah, dass sein Freund nicht so schnell schlappmachen würde, beugte er sich zum zweiten Meißel nach unten, hob ihn an und – watschelte – genau wie Prost, nur dass das bei Erwin noch komischer aussah, hinter seinem Kollegen hinterher. Aber komisch oder nicht, das war Erwin egal und außerdem hatten sie ja sowieso nur einen Zuschauer, den Bohrleiter. Der drückte die Fäuste fest zusammen, als könnte er auf diese Art beim Tragen mithelfen. Er hoffte inständig, dass die Männer die Strecke tatsächlich schaffen würden.

Erwin dachte trotz der Anstrengung erneut an das interessante Gespräch mit seinem jungen Freund. Nach Schichtende hatten die beiden ihre Debatte über Dialektik fortgesetzt.

„Woher weißt du das Erwin?“ fragte Prost seinen sympathischen Kollegen.

Schmiedefeld schwieg. Bis zu diesem Gespräch über Philosophie mit Prost, wusste niemand, dass er nach seinem Abi auf der ABF 1953, danach zwei Jahre in Halle an der MLU Philosophie studiert hatte.

„Ich sehe, Thomas, dass du noch andere Fragen auf der Zunge hast. Spuck sie aus.“

„Aber dann klärst du mich auf?“

„Über Sex rede ich auch gerne, obwohl…“

„Wieso Sex?“ stellte Prost sich dumm.

„Rousseau, Diderot und Madam Pompadou. Ja, ja, das 18. Jahrhundert, die Epoche der Aufklärung, war auch sehr interessant.“

„Na gut Herr Professor, hast du auch ein Beispiel für den Kampf und die Einheit der Widersprüche?“

„Du hast es doch selbst schon gesagt. Denk nach.“

„Du meinst,“ Prost zögerte, „du meinst meine Veränderung hier bei Euch?“

„Genau Scholar,“ erneut grinste er, „Bewegung ist die notwendige Triebkraft für Veränderung, Entwicklung. Ein Wesen ist in jedem Augenblick dasselbe und doch ein anderes.“

Erwin ergötzte sich an seinem, aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommenden Kollegen und Freund.

Genau auf der Mitte des Weges ließ Prost den Meißel fallen und streckte sich. Kurz hinter ihm traf Schmiedefeld ein, warf seinen Meißel ebenso in den Sand und schnaufte.

„Du bist eine kaputte Type, Prost, aber“, er zeigte mit der Hand zurück, „du hast Erfolg.“

Tatsächlich hatte sich Krause den dritten Meißel geschnappt und kam nun auf sie zu. Seinen Gang mit dem Meißel konnte man schon fast Laufen nennen. Der bullige Kerl machte das noch besser als die zwei vor ihm.

Krause schmiss seinen Meißel ebenfalls hin und schnauzte, „Prost, du bist ein Arschloch! – Aber stark. – Das hätte ich nicht gedacht.“

Dieses Lob ging Thomas tief unter die Haut, aber er sagte nichts, sondern stellte sich wieder vor seinen Meißel, ging in die Knie, hob das schwere Teil wieder an – ihm war so, als wäre es leichter geworden – und watschelte weiter. Erwin folgte ihm, seinen Gedankengang fortsetzend, auf dem Fuße.

„Hast du etwa auch studiert Erwin?“ Prosts Blick zu Schmiedefeld unterstrich seine Fragestellung. „Warum verheimlichst du das? Und überhaupt, warum arbeitest du dann hier?“

„Ich habe nur zwei Jahre Philosophie an der Uni Halle studiert.“ Schmiedefeld machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist alles.“

„Dann hast du Abitur?“

„ABF, auch in Halle.“

„Warum hast du aufgehört?“

„Willst du das wirklich wissen?“

„Ja unbedingt.“

„Mann, ich weiß es doch selber nicht.“

Die beiden schwiegen.

„Was ist jetzt mit dem 3. Dialektischen Grundgesetz,“ unterbrach Prost die Stille, „die Negation der Negation?“

„Das ist doch am einfachsten, Thomas.“

„Ich finde das am verworrensten.“

„Du liebst doch Mathe, hast du mir erzählt. Du musst nur richtig nachdenken, dann siehst du, wie einfach das ist.“

Prost grübelte ein zwei Minuten schweigend, bevor er weitersprach. „Ein positive Zahl wird negativ, wenn ich sie mit einer negativen multipliziere. – Ja, ist das die Negation?“

Schmiedefeld schwieg grinsend.

„Oh, ich glaube, jetzt geht mir ein Licht auf, denn wenn ich die negative Zahl nun mit einer weiteren negativen multipliziere, wird das Ergebnis positiv.“ Über Prosts Gesicht lief ein erstauntes, etwas ungläubiges grinsen. „Das ist dann wohl die Negation der Negation Erwin? Minus mal Minus ergibt Plus?“

„Das Verschwinden der alten Qualität, also Negation, ist verbunden mit ihrem Wiederauferstehen, der doppelten Negation, in einer neuen Qualität.“

Als sich Prost mit seinem Meißel dem Straßenrand näherte, fuhr dort der LKW vor und er ließ seinen Meißel dicht am Fahrzeug, zu Boden gleiten. Nur wenig später trafen auch Schmiedefeld und Krause ein, die sich genauso erleichtert von ihrer Last befreiten.

Boge tanzte freudig um die drei herum. „Mensch Leute, das ist ja wunderbar. Damit habt ihr einen Verzug beim Vortrieb der Bohrung verhindert.“

„Quatsch nicht so viel, Boge, rück lieber mit `ner Prämie raus“, brummte Krause und Schmiedefeld fügte grinsend hinzu, „die Idee solltest zu festhalten, Bohrleiter.“

Boge lachte. „Da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Natürlich kriegt ihr eine Prämie. Aber außerdem gibt es ja Bohr-Geld pro Meter Tiefe, und da wir nun nicht in Verzug kommen werden, gibt es auch mehr von dieser Prämie.“

Die Aktion der drei sprach sich schnell unter den Kollegen der anderen Schichten der Bohranlage herum und der angehende Student merkte von diesem Tage an, dass er sich den Respekt der 18 Bohrarbeiter erworben hatte.

 

Wie die Männer ticken.

Wie die Männer ticken.

Verfasst von Anni Kloß und Max Balladu

„Weißt du Max,“ wandte sich Amateurmalerin Henriette Fabienne Möller an ihren Mann Max Balladu den Amateurautor mehrerer Bücher, „die neue Mikrowelle verstehe ich nicht.“

„Zeig mir mal die Beschreibung Moritz.“

Die gut proportionierte, schön anzusehende Frau hörte diese Anrede, sie stammte noch aus der Zeit ihres Kennenlernens vor vielen Jahren, gern, denn sie wirkte auf sie sehr freundlich, fast liebevoll. Inzwischen nutzte sie diesen Namen in Verbindung mit ihren Initialen auch als Pseudonym ‚H. F. Moritz‘ für ihre Bilder, die zum Teil auf den Covern der Balladu-Bücher prangten und, zumindest ab und zu, für das Lektorat mancher Romane des Mannes. Das schon fortgeschrittene Lebensalter hatte der Möller – fast – nichts anhaben können. Sie drückte lächelnd dem beinahe gleichaltrigen, schlanken und immer noch sportlich wirkenden Mann, eine kleine A5 Broschüre in die Hand. Weiter still vor sich hinlächelnd sah sie zu, wie der Ingeniör i. R., wie er sich selber betitelte, zu lesen begann.

Genau damit fingen die Unterscheide zwischen den Beiden schon an. Während die Frau einfach drauflos probierte, das heißt in diesem Falle einen Knopf nach dem anderen drückte, immer von einem Piep begleitet, bis sie entnervt aufgab, weil das Gerät nun keinen Ton mehr von sich gab, machte der Mann sich immer erst geduldig über die Anleitung her und erst dann, wenn er glaubte das System erkannt zu haben, begann er damit die Knöpfe zu drücken.

Balladu betrachtete die 9 untereinander liegenden Fingerkuppen großen, sich kaum vom Untergrund abhebenden Druckknöpfe. Eigentlich waren das nur kleine Dellen in einer glatt-glänzenden Oberfläche. Er sah noch einmal kurz ins Buch, dann drückte er einen Knopf und die kleine, aber gut sichtbare digitale Anzeige, direkt oberhalb der Druckknöpfe, leuchtete auf und zeigte vier durch einen Doppelpunkt getrennte rote Nullen.

Eine Weile hatte die Frau noch geduldig daneben gestanden, doch dann wurde ihr das zu langweilig und sie verließ die Küche, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Es hat ihr zwar auf der Zuge gelegen, dem Mann Ratschläge zu erteilen, aber dann hätte er sie ja doch nur kurz und knapp abgewiesen. Das war ihr schon so oft passiert und manchmal konnte das auch weh tun, obwohl sie genau wusste, dass es von ihm nie böse gemeint war. Im Prinzip hatte er wohl auch Recht, denn zu unterschiedlich waren ihrer beider Herangehensweisen. Natürlich wusste sie das längst, hielt sie aber oft nicht davon ab, es dennoch zu tun, sich einzumischen. Die zweite Abweisung des Mannes hörte sich dann auch entsprechend aggressiver an und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Da in dem kleinen Reihenhäuschen alle Räume, von Kellerflur bis in die erste Etage, gleichmäßig beheizt wurden, standen fast immer alle Türen offen. So hörte sie also, wie es plötzlich aus der Küche wieder piepte. Sie verharrte mit ihrer Arbeit, lauschte, doch es hörte nicht auf, unrhythmisch zu piepen. Langsam ging die Möller zurück in die Küche, sah ihren Mann jetzt kopfschüttelnd vor dem Gerät stehen, abwechselnd ins Buch und dann auf die Knöpfe der Mikrowelle sehend. Nach kurzer Zeit, die Frau stand jetzt direkt neben ihm, sah sie, dass auf der Anzeige irgendwelche Zahlen standen. Er drückte noch einen Knopf und nun zeigte die Anzeige wieder 00:00.

„Vielleicht solltest du zuerst die Zeit einstellen?“ schlug die Möller vor.

„Ich weiß zumindest, was die Knöpfe bedeuten. Siehst du hier,“ er zeigte auf den obersten Knopf direkt unterhalb der digitalen Anzeige, „damit stellt man die Leistung von P100-P10 ein. Darunter folgt die Auswahl der Garart, also Grillen, Mikrowelle oder Kombinationen. Dann folgt mit Convection,“ er zeigte auf den dritten Knopf von oben, „eine Temperatureinstellung. Was das genau bedeutet habe ich noch nicht verstanden. Es muss etwas mit vorwärmen auf eine bestimmte Temperatur zu tun haben. Der nächste Knopf dient der Einstellung des Gewichts des Gargutes. Mit dem Fünften, das scheint mir wieder wichtig, kann man Uhrzeit und  Kochzeit einstellen,“ er sah seine Frau kurz an, bevor er den Kopf drückte – piep. Die erste Zahl in der Anzeige blinkte. „Da,“ er sah auf die Uhr, „zehn Uhr dreißig,“ Balladu fuhr mit dem Finger über den direkt darunter liegenden Knopf hinweg, mit der Bemerkung, „Achtung! Der 6. Taster bedeutet ‚Stopp/Clear‘, meint somit auch löschen und dann muss du wieder von vorne anfangen. Also sollte ich jetzt auf den Siebenten drücken, der mit  einem Pfeil nach oben, leider kaum sichtbar, gekennzeichnet ist.“ Es piepte, die erste Zahl erhöhte sich mit jedem weiteren  Piep von 1 bis auf 10. Max drückte wieder auf den Fünften mit der Beschriftung ‚Clock‘, die erste Zahl blieb bei 10 stehen und die zweite begann zu blinken. Der Mann drückte erneut, jetzt aber dauerhaft auf den fast unsichtbaren Pfeilkopf nach oben, die Zahlen liefen schnell von Null über die dreißig hinweg. „Oh, 34, das war zu weit, aber kein Problem,“ er drückte den mit einem ebenso unsichtbaren Pfeilkopf nach unten gekennzeichneten Knopf, also den 8., nun wieder langsam, so dass nach vier Piepsern die 30 blinkte und er den Vorgang durch erneute Betätigung der fünften Taste abschloss. „Das ist einfach, aber Achtung vor der Taste Nr. 6! … doch lass uns erst einmal weitermachen,“ er zeigte auf den 9. und letzten Knopf, „da steht ‚Start/+30sec/confirm‘, klingt umständlich, aber es besagt wohl, dass damit sowohl der Kochvorgang gestartet als auch die anderen notwendigen Daten nach deren Eingabe, bestätigt werden müssen, denn confirm heißt so viel wie bestätigen.“

„Die alte war viel einfacher.“

„Da stimme ich dir zu, Moritz, aber wir schaffen das auch mit diesem, an sich ja sehr guten Gerät.“

„Ja, ja, das wollte ich ja auch haben, weil innen alles aus Edelstahl und nicht aus Keramik ist,“ sie sah eine Bemerkung erwartend zu ihrem Mann, doch als der schwieg, fuhr sie fort, „die Keramik ist zu schnell von der Wandung abgesprungen und dann…“

„…korrodiert das Gehäuse. Wir werden schon klarkommen, wir lernen das. Wollen wir zusammen nochmal alles durchgehen?“

„Lass mich es nochmal allein versuchen, Ja?“

„Na klar. Mach das. Ich setze mich an den Computer und überlege, wie wir die Knöppe besser kennzeichnen könnten.“

Als Balladu um halb zwei mit einem A4-Zettel in der Hand wieder aus dem Keller, wo sich sein Arbeitsraum, in dem ehemaligen Kinderzimmer ihres längst erwachsenen und bereits vor Jahren ausgezogenen Sohnes, befand, saß die Frau im Wohnzimmer auf ihrem Stammplatz links neben der Tür in der Ecke und löste Kreuzworträtsel, eine ihrer Lieblingstätigkeiten. „Na, weißt du jetzt Bescheid, Moritz?“

„Ich hab‘ aufgegeben. Das ist alles zu verwirrend.“

„Verstehe. Außerdem funktionieren die Druckknöpfe nicht besonders gut. Erst muss man sie ertasten und dann sehr kräftig drücken. Trifft man nicht genau den Kopf, dann piepts auch nicht.“ Während er das sagte schwenkte er sein Blatt Papier hin und her.

„Was hast du da?“

„Ach ja,“ sagte Balladu, als ob er das Blatt bereits vergessen hatte, „das ist eine Skizze mit allen Knöpfen und einer genauen Bezeichnung mit roter Umrandung für die wichtigsten, die anderen schwarz. Vielleicht sollten wir an die Knöpfe entsprechende Zahlen ankleben?“ Er legte der Frau das Papier auf den Tisch. „Was meinst du?“

Die Möller betrachtete das Bild nur kurz, „ist immer noch zu kompliziert – finde ich.“

Balladu dachte schweigend nach.

„Vielleicht nur die roten Zahlen?“ fügte die Frau hinzu.

„Gute Idee. Ich denke, dass wir ohnehin nur drei Tasten brauchen. Zumindest am häufigsten brauchen.“

„Drei Tasten!“ konstatierte die Frau, „das könnte mir gefallen.“

„Hast du etwas zum Ankleben? Etiketten oder so? Dann mach ich das.“

„Gib mir Deine Skizze, ich finde was und dann mache ich das.“

„Gut. Wir sollten vielleicht unterschiedliche Farben wählen. Das wichtigste wäre, die Taste 6 ‚Stopp/Clear‘ rot zu kennzeichnen und die andern vielleicht grün?“

„Ich denk darüber nach und mache das.“

Sie absolvierten wie jeden Tag ihren Spaziergang, danach widmete sich zu Hause wieder jeder seinem eigenen Hobby. Balladu ging zurück in den Keller, nicht ohne vorher sein Abendbrot vorprogrammiert in die Röhre geschoben zu haben, während die Möller sich ins Wohnzimmer zu ihren Rätseln setzte. Aus ‚Diät‘ Gründen verzichtete sie auf ein Abendbrot.

Als um 18 Uhr die Bratröhre in der Küche zu piepen begann, stand Balladu auf, speicherte seine Arbeit, inzwischen machte er das aus Sicherheitsgründen mindestens zehnmal am Tag, ging die Treppe nach oben, um sein Abendessen aus der Röhre zu holen. Als erstes warf er aber doch kurz einen Blick auf die Mikrowelle, stutze, ging näher und … lachte schallend los. Es dauerte nur Sekunden, da stürzte seine Frau in die Küche, „was ist los? Ist was passiert?“

„Und ob meine liebes Weib,“ er zeigte auf die Mikrowelle, „das ist der Beweis!“

„Was denn für ein Beweis? Gefällt dir das nicht mit den zwei roten und dem einen grünen Punkt?“

„Doch, doch, das hast du wunderbar gemacht!“ Dennoch lachte der Mann weiter.

„Aber worüber lachst du denn dann?“

„Über eine Erkenntnis mein Moritz, eine Erkenntnis über die sich schon viele Männer den Kopf zerbrochen haben.“

„Ja und, was soll das denn sein?“

„Wie Frauen ticken!“

„Aber was hat das mit unserer Mikrowelle zu tun?“

„Sie mal Frau,“ wieder zeigte er auf die Pünktchen, die sie angebracht hatte, „du hast die beiden Knöpfe Zeit und Start rot gekennzeichnet und die Stopptaste grün. Ich hätte es genau umgedreht gemacht, verstehst du?“

Die Möller sah zur Mikrowelle, dachte angestrengt nach, sah zurück auf ihren Mann, „na gut, mein Mann, aber dann kann ich dir jetzt genauso gut sagen, dass ich endlich verstanden habe,“ sie machte eine kleine Pause, sie sah, dass ihr Mann voller Aufmerksamkeit war und fuhr fort, „wie die Männer ticken.“

„Volltreffer!“ stimmte Balladu zu und beide lachten aus vollem, und für den Moment zufriedenem, Herzen.

Nachbemerkung:

Die erste Fassung dieser Geschichte hatte mein Freund Balladu verfasst. Bei ihm sollte der Titel heißen ‚Wie Frauen ticken‘, aber dann fand er, dass dieser Name sofort die Feministinnen auf den Plan rufen könnte und reichte den Entwurf an mich weiter. Das fand ich auch gut, denn es liegt ja auf der Hand, dass das Thema logischer Weise aus beiden Richtungen betrachtet werden kann. Und ich denke sogar, betrachtet werden muss. Auf gar keinen Fall sollte mit der Überschrift weder die Frau noch der Mann zum Sündenbock gemacht oder ganz und gar hintergangen werden. Deshalb ist obige Geschichte das Werk von Mann und Frau.

Wie gut, wenn Mann und Frau auch ‚nur‘ Freunde sein können.

Balladus neues Buch: ‚Lose Blätter‘

Hallo liebe Lesefreunde! 

Mit dem 9. Buch veröffentlicht Max Balladu als Herausgeber eine Anthologie unter dem Titel: 

‚Lose Blätter‘ 

eine Blütenlese mit Erzählungen und Gedichten von: 

EWa, Jörg Körner, Anni Kloß, Mimi H, Heiz Schubert, Helene Paetz und Max Balladu.

 Wie bereits bei den vorherigen Lesungen stellt in diesem Falle der Herausgeber das neue Buch in zwei öffentlichen Buchlesungen vor:

Inhalt:

  1. Lesung ‚Aller Anfang ist schwer‘

Gedicht A. Kloß ‚Revolution auf ostdeutsch‘

  1. Lesung Ewa ‚Weggefährten (1)‘

Gedicht Helene Paetz ‚Trag dein Leid‘

  1. Lesung Körner ‚Sittenstrolch‘
  2. Lesung Balladu ‚Kreis‘ (oder Altersheim)

Gedicht Kloß ‚Schweigen‘ (oder Schubert Herbstlied) 

Es können auch Bücher von Balladu erworben werden.

 

 

 

B. Schlink, Die Frau auf der Treppe

Rezension Nr. 3

zum Roman ‚Die Frau auf der Treppe‘ von Bernhard Schlink

Inhalt:

Der Ich-Erzähler, Anwalt einer Frankfurter Kanzlei, erlebt als junger Mann im Sommer 1968 eine merkwürdige Geschichte: Damals willigte er ein, einen Vertrag aufzusetzen, der ein Tauschgeschäft – ein Akt-Gemälde gegen eine davongelaufene Ehefrau – zum Inhalt hatte. Nach mehr als 40 Jahren trifft er die Frau und die ‚Tauschpartner‘ wieder.

 

Kritik: … unsere Welt ändert sich nicht mehr …?

Wenn ich, Anni Kloß, ein Buch vom Diogenes Verlag in die Hand nehme, bildet sich in meinem Kopf automatisch eine ganz bestimmte Vorstellung über das, was ich noch gar nicht gelesen habe. Schon durch die äußere Gestaltung des Covers strahlt der Roman  ein ganz eigenes Flair auf mich aus. Beim heute rezensierten Buch erinnere ich mich noch daran, weil ich dieses Empfinden gleich am Anfang aufgeschrieben habe: künstlerisch verträumt, vorrangig in der Gegenwart spielend, aber mit einem Hauch vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts versehen. Die Frau stellt sich mir bildlich wie eine von Tucholskys Frauenfiguren dar. Ich weiß deshalb, dass ich Geduld mit mir haben muss, weil mich bei einem solchen Vorgefühl schnell Langeweile beim Lesen anspringt. Das war auch dieses Mal wieder so.

Doch auf Seite 143, als ich über Irenes Aufenthalt in der DDR las, regte ich mich zuerst auf, weil Schlink die DDR als ein totes Land beschreibt (vor dem der Westen scheinbar immer noch solche Angst hat). Zuerst dachte ich, dass der Autor nur schlecht recherchiert hat, denn er vergleicht das Leben in der DDR mit einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft, einem Biedermeier-Idyll!? – Doch dann erfahre ich, dass die Frau als eine von der BRD gesuchte Terroristin in der DDR untergetaucht war. Das änderte für mich die Situation von Grund auf, und zwar zum Positiven hin, denn mit den Vorstellungen eines solchen Menschen konnte ich die Darstellung der DDR verstehen.

Die Beschreibung der Gegenwart wird vom Kapitalismus beherrscht. Der Mann, der seine Ehefrau gegen das Bild ‚Die Frau auf der Treppe‘ zurücktauschen will, ist steinreicher Kapitalist, der genau weiß, dass die Parteien CDU und SPD seinen Besitz und seine Macht sichern werden: „…Die Geschichte geht weiter. Aber unsere Welt ändert sich nicht mehr …“ (Seite 156).

Der inzwischen erfolgreicher Maler, der das Bild, das er gemalt hat, gegen die Frau, die mit ihm durchgebrannt war, wieder zurückhaben will, hat der Ideologie des Kapitalisten: „Sie sind der Künstler, dem alles zu Gebot steht und der von allem Gebrauch macht und zu dessen Kunst es keine Alternative mehr gibt …“ (Seite 157), außer Sympathie für die Linken, „… die schönen klugen Frauen aus gutem Haus, die sich damals zu den Linken geschlagen haben, aus politischer Überzeugung und weil sie spürten, wo die Avantgarde ist, wo es lebendig und prickelnd zuging …“(Seite 159), nichts entgegenzusetzen.

Der erfolgreiche Rechtsanwalt, der das Tauschgeschäft anwaltlich begleitet hatte, der sich auch in das Weib verliebte, aber bei der Frau als Mann nicht zum Zuge kam, kümmert sich in der Gegenwart um die inzwischen schwer kranke Frau. Er wird vom Kapitalisten abgefertigt: „… Teure Kanzlei, ich weiß, große Fälle, aber immer für andere die Drecksarbeit erledigen – Sie sind ein Lakai. Zuerst waren sie seiner (nickt zum Maler), dann meiner, dann ihrer (zur Frau). Sie halten am besten den Mund …“ (Seite 162)

Schlink schreibt wie gewohnt flüssig, die Handlungsorte passen, der Bezug zur Realität ist gegeben.

Der 70-jährige Autor hat mit der Grundstory eine gute Möglichkeit gefunden, über sein Leben zurückblickend zu philosophieren.

Das ist ihm im großen Ganzen so gelungen, dass es gut lesbar ist.

Bewertung:

  1. Inhalt, Story (Faktor 1): Die Thematik ist interessant, die Story gut entwickelt und logisch aufgebaut.

Bewertung: 4

  1. Der Sachverhalt (Faktor 1), die Situation der Hauptpersonen, die Schilderung der Gesellschaft entspricht der Realität. Auch die Konstruktion des Romans ist nachvollziehbar.

Bewertung: 4

  1. Der Stil (Faktor 1) ist flüssig, nach anfangs etwas langweilig, aber dann interessant.

Bewertung: 4

  1. Recherchen (Faktor 0,5) rufen keinen Widerspruch beim Leser hervor.

Bewertung: 3

  1. Die Handlungsorte (Faktor 0,5) sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 3

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen (Faktor 1): Es sind gute Ansätze dazu vorhanden, aber warum glaubt der Autor, dass unsere Welt sich nicht mehr ändert? Die Hauptaussage der dialektischen Grundgesetze der Entwicklung ist doch meines Erachtens, dass das Erkennen ein unendlicher Prozeß ist. – Oder?

Bewertung: 2

Summe Bewertung: 3

Lutz Seiler, Kruso

Rezension zum Roman ‚Kruso‘ von Lutz Seiler

Für dieses Buch erhielt Seiler 2014 den ‚Deutschen Buchpreis‘

Inhalt:

Edgar – Ed – Bendler, der Hallenser, bricht das Literaturstudium ab. Er flieht vor einer schrecklichen Realität und landet als Saisonkraft (Esskaa) auf der Ostseeinsel Hiddensee. Im Abwasch des Klausners, einer Kneipe hoch über dem Meer, lernt Ed das 12-köpfige Personal, darunter auch den, in der DDR aufgewachsenen, Russen Alexander Krusowitsch – Kruso, kennen. Eine verwirrende, zärtliche Männerfreundschaft beginnt zwischen Kruso, dem stillen, unbenannten, aber anerkannten Herrscher der Insel und Ed, dem Neuling. Von dem Russen wird Bendler eingeweiht in die Rituale der Saisonarbeiter und die Gesetze ihrer Nächte, die für Ed auch unerwartete sexuelle Erlebnisse bringen. Geheimer Motor dieser Gemeinschaft ist Kruso und seine Utopie, die verspricht, jeden Ausreisewilligen oder – wie der Russe es formuliert – den Schiffbrüchigen des Landes DDR und des Lebens, in drei Nächten zu den ‚Wurzeln der Freiheit‘ zu führen. Der Herbst 89 erschüttert auch diese Gruppe auf der Insel. Aber anders, als die Gestalter der Revolution im Land, zerfällt die Gemeinschaft der Aufmüpfigen und endet teilweise tödlich.

Am Ende steht – allein für Ed Bendler – ein Versprechen.

Kritik: Alles Sagen, ohne alles zu sagen?

Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben und basiert, zumindest im letzten Teil, auf einer sehr guten Recherche, die den Spuren jener Menschen folgt, die bei ihrer Flucht über die Ostsee verschollen sind, und führt bis nach Kopenhagen, in die Katakomben der dänischen Staatspolizei.

Die Beschreibung der Insel zeigt, dass der Autor sich gut auf ihr auskennt und auch die Saisonkräfte – die Esskass – sind gut und glaubhaft charakterisiert. Ähnlichen Typen konnte man zu jener Zeit fast überall in der DDR begegnen.

Was aber ist die Story?

Die Helden des Romans, eigentlich unversöhnliche Gegner der Diktatur in der DDR, zumindest empfindet man das so beim Lesen (Seite 306 Bund der Eingeweihten: Untergrund zur Anhäufung innerer Freiheit, ohne Verletzung der Grenzen, ohne Flucht, ohne Ertrinken), enden genau zum Sieg der friedlichen Revolution in der DDR im Zerwürfnis und unverständlicher Selbstzerfleischung, obwohl natürlich auch auf der Insel gewisse Staatsorgane ihre Muskeln nicht nur spielen lassen.

Ist das, philosophisch ausgedrückt, die Negation der Negation?

Zudem erschwert die fast durchgehende  Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge das Verständnis.

Oder fängt da die Kunst an? – Alles sagen, ohne alles zu sagen? – Der Fantasie freien Raum lassen?

Sexuelle Bemerkungen werden in den Text auf irritierende Art eingebunden, z. B. Seite 34: „Aus den Brötchen war ein einziger Brei geworden, er knetete ein paar Kügelchen und drücke eine Sperma ähnliche Flüssigkeit aus dem Teig.“ Dadurch erhalten fast alle sexuellen Szenen einen etwas anrüchigen, schmierigen, manchmal auch stinkenden Beigeschmack.

Andere Emotionen klingen bei Seiler so: Seite 278: Ed umarmt kniend das stinkende Klobecken und brüllt: „Kruso, Kruso“ in die Öffnung hinein.

Oder Seite 471: Ed läuft einer Frisöse hinterher, die in einem Plastiksack die abgeschnittenen Haare wegbringt und  kotzt ihr schreiend vor die Füße.

Zusammenfassend könnte ich meinen Eindruck von dem Buch – vielleicht etwas respektlos – so zusammenfassen: Halb abstrakt, halb mythisch (Seite 45: „Als er den Schrank öffnete, begann die Tür von innen zu schmelzen, in dunklen Wellen.“ oder „Du hast mich geträumt“ oder die Wiederholung von: Gesprungen? – Nicht gesprungen!), halb-homosexuell (Verhältnis Kruso-Ed); halb-Sekte (Die Erleuchteten – vorher Schiffbrüchige), halb schleimig, halb vergammelt, halb eklig (z. B. Seite 80 der Lurch); halb schiffbrüchig, halb flüchtig, halb träumend; halb eingesperrt, halb frei; halb Wahrheit, halb Dichtung; halb Preis, halb Scheiß.

  1. Inhalt, Story: Die Thematik ist zwar interessant, aber die fast durchgehende Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge erschwert doch sehr das Verständnis.

Bewertung: 1

  1. Der Sachverhalt, ähnlich, wie 1. einzuschätzen

Bewertung: 1

  1. Der Stil ist ausgezeichnet.

Bewertung: 5

  1. Recherchen sehr gut.

Bewertung: 5

  1. Die Handlungsorte sind ausreichend gut beschrieben.

Bewertung: 4

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen: Für mich nur eine halbe Sache

Bewertung: 5/2

Summe Bewertung: 3,3

Mein subjektiver Eindruck rundet ab, also 3 Sterne.

Dave Eggers, ‚Der Circle‘

zum  Roman ‚Der Circle‘  von Dave Eggers

Inhalt:

Mae Holland wird von dem Internetkonzern „The Circle“ angeheuert. Ziel des Unternehmens ist, durch vollkommene Transparenz ein neues Zeitalter einzuläuten. E-Mails, Social Media, Bankdaten, Einkaufsverhalten werden vernetzt und zu einer Online-Identität verdichtet. Mae kann es kaum fassen: Sie darf für den einflussreichsten Konzern der Welt arbeiten! Doch was genau ist ihre Rolle? Dieses Buch beginnt als faszinierende Geschichte einer ehrgeizigen jungen Frau, wird jedoch bald zu einem spannenden Thriller, der Fragen nach Privatsphäre, Demokratie und den Grenzen menschlichen Wissens aufwirft.

Kritik: Überholen ohne Einzuholen?

Leser, die in der DDR aufgewachsen sind oder zeitweilig dort gelebt haben, werden sich vielleicht an die Parteiparole ‚Überholen ohne einzuholen‘ erinnern. Die meisten haben darüber nur gelacht, weil der Spruch nicht nur unlogisch klingt, sondern auch mit der Bedeutung, den kapitalistischen Westen wirtschaftlich innerhalb sehr kurzer Zeit zu überholen (ohne einzuholen), vollkommen absurd erschien, denn die reale Gegenwart sprach zu sehr gegen dieses ehrgeizige Ziel.

Bereits am ziemlich langweiligen Anfang des Romans fielen mir bestimmte Ähnlichkeiten zur DDR-Vergangenheit auf. Die ständigen Wiederholungen von Formulierungen, wie auf Seite 38: ‚Alle lieben Annie‘, erinnerten mich an den Stasichef Mielke. Was hat dieser Mann zur Wendezeit vor den Medien verkündet? ‚Ich liebe euch alle!‘

Bei der Beschreibung der überfreundlichen, super-schlauen, sau-fleißigen Beschäftigten des Circle viel mir sofort eine Schneeballfirma mit Sitz in den USA ein, die sich in gleicher Weise präsentiert, mit dem Ziel, Menschen durch den Kauf von total überteuerten Nahrungsergänzungsmitteln, abzuzocken.

Doch am meisten war ich verblüfft, als mir beim Lesen des Buchs von Eggers, Parallelen zum utopischen Kommunismus auffielen und genau dieser oben zitierte Spruch mir in den Kopf kam. Als ich nur wenig später herausfand, dass die Hauptperson Mae, keine hochwissenschaftliche Arbeit, sondern die Aufgabe hat, Kunden zu betreuen, also ein Auftrag ähnlich einem Callcenter, hätte ich das Buch beinahe in die Ecke gefeuert. Insbesondere die Aufforderung, dass der Besteller den Bearbeiter sofort benoten soll, berührte mich sehr unangenehm, denn im Internet nervt mich schon heute jede Forderung nach einem Feedback, weil ich da erst recht das Gefühle habe, nur einen Automatismus zu befriedigen.

Zum Glück tat ich das nicht, sondern las weiter, obwohl die Informationsflut in Form von Zings, Feeds, E-Mails u. a. m., die Eggert auf etlichen Seiten anhäuft, mich ziemlich nervten, denn mir wurde klar, dass ich, um das alles zu verarbeiten, die gesamte freie Zeit meines restlichen Lebens dafür benötigen würde. Allerdings weiß ich wohl, dass man auf diese Informationen auch sehr gut verzichten kann. Nicht verzichten kann man auf die tiefgründige Hinterfragung der existierenden und der anzustrebenden demokratischen Staatsform, was Eggers aus meiner Sicht auf hohem Niveau und mit den Möglichkeiten der neuen Social Medien im 2. Teil seines Buchs, auf spannende und unterhaltsame Art und Weise tut. In nachfolgender Tabelle habe ich das Wichtigste zusammengefasst:

 

Circle-These (s. Seite 346) Antithese (s. Seite 550)
Geheimnisse sind Lügen Wir müssen alle das Recht auf Anonymität haben

Wir müssen alle das Recht haben zu verschwinden.

Teilen ist heilen Die ständige Jagd nach Daten, um den Wert eines jeden Vorhabens zu quantifizieren ist katastrophal für wahres Verständnis. Nicht jede menschliche Aktivität ist messbar
Alles private ist Diebstahl Die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem muss unüberwindlich bleiben

Und genau das ist die Thematik über die sehr viele Menschen, so auch ich, angestrengt nachdenken, versuchen die richtigen Thesen zu formulieren und verzweifelt nach den wesentlichen, praktisch durchführbaren modernen Mitteln zu suchen, um unseren verkorksten westlichen Demokratien, die bald (vielleicht schon heute) keine mehr sind, im Interesse der Menschheit, aus der Krise zu helfen.

 

Bewertung:

  1. Inhalt, Story: Der Roman ist nicht immer interessant und unterhaltsam gestaltet, weil bestimmte Passagen mit gleichem Inhalt vom Autor zu sehr ausgewalzt werden. Die könnten zwar überblättert werden, aber dann muss man sehr aufpassen, dass der Beginn der wichtigen Passagen nicht übersehen wird. Außerdem empfinde ich viele Passagen als philosophischen Sadismus, z. B. das Gespräch von Mae mit einem der drei Weisen(!), auf den Seiten 316ff. Und das tut weh. Muss man sich das antun?

Bewertung: 3

  1. Der Sachverhalt hat einen frappierenden Bezug zur Realität. Der demokratische Staat wird kritisch hinterfragt. Die Behandlung dieser Thematik erscheint mir sehr wertvoll.

Bewertung: 5

  1. Der Stil ist flüssig, aber manchmal auch ein wenig langweilig.

Bewertung: 3

  1. Die Recherchen sind sehr gut, die Nachprüfbarkeit ist mit den zum Teil angeführten sozialen Netzwerken, wie Facebook, Twitter und Google gegeben. Der Autor weiß wovon er schreibt.

Bewertung: 5

  1. Die Handlungsorte sind ausreichend gut beschrieben. Vielleicht bis auf die großartigen Firmengebäude (wohl von Eggers wegen der wissenschaftlichen Bedeutung als Campus bezeichnet) mit den modernsten Arbeitsplätzen, deren Räume teilweise mit vielen, vielen Büchern ausgestattet sind? – Aber das alles hat in diesem Roman auch keine so große Bedeutung.

Bewertung: 3

  1. Kritische Aspekte zur existierenden Realität, zur Politik, zum Leben der Menschen und Hinweise zum Bessermachen: Die Thesen und Antithesen zur Thematik Demokratie ist gleichzeitig Kritik und Hinweis für weiteres Handeln.

Bewertung: 5

Summe Bewertung: 4 Sterne

 

Anni Kloß und Max Balladu

Anni Kloß lockert die Bücher und diese Website  mit Lyrik etwas auf, z. B.:

Buch 7, ‚Wer ist hier der Terrorist?‘ Seite 115

„Mann:
Schönes Weib ich will dich haben,
Will an Deinem Leib mich laben.
Frau:
Das starker Mann will ich doch hoffen
und bin gern für alle Dinge offen
Mann:
Eins muss ich dich noch vorher fragen:
Welche Folgen kann das Ganze haben?
Frau:
Egal, komm zu mir, ich bin schon von Sinnen.
Oder machst Du dich etwa nachher von hinnen?
Faszit:
Es bummst wie verrückt,
zwei sind entzückt.
Die anderen müssen erst sehen
wie sie mit dem Schaden umgehen.“

Was mir wichtig ist.

Nicht nur am 1. Mai 2019

  1. Löhne rauf in ganz Europa.

Armutsfeste Mindestlöhne müssen Pflicht werden. In Deutschland sind das 12 Euro pro Stunde. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort statt Billigkonkurrenz!

  1. Tarifverträge stärken.

Öffentliche Aufträge dürfen nur noch an Betriebe gehen, die Tarifbindung haben und regional und fair wirtschaften. Tarifverträge müssen auf Antrag der Gewerkschaft allgemeinverbindlich werden.

  1. Mehr Zeit zum Leben. Gleicher Lohn.

Statt Überstunden und Dauerstress für die einen und unfreiwillige Teilzeit für die anderen: Jeder und Jede hat das Recht auf mindestens 22 Wochenstunden. Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn auf um die 30 Stunden.

  1. Konzerne müssen an die Kette.

Wir wollen Mindeststeuern für Unternehmen und große Vermögen, damit die Steueroasen in Europa geschlossen werden.

  1. Macht Europa sozial:

Dazu braucht der Kontinent ein Alarmsystem gegen Erwerbslosigkeit und prekäre Beschäftigung. Mindesteinkommen und Mindestrente müssen vor Armut schützen. Die Unternehmen und Reichen müssen ihren gerechten Beitrag leisten.

 

Drei Dinge…

 

Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen:

Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus.

Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig.

Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent.

Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.

UNTEILBAR – AUFSTEHEN

#unteilbar: Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!

#aufstehen: Für ein gerechtes und friedliches Land!

In den letzten Wochen haben zwei politische Sammelbewegungen gegen das Anwachsen der rechten Bewegungen, gegen einen Rechtruck in Deutschland, in positivem Sinne von sich reden gemacht.

Wir wünschen uns als nächsten Schritt, dass sich beide Bewegungen vereinigen. Gegen die rechte Gefahr, gegen die Tendenz Deutschland wieder in eine Diktatur zu treiben, hilft nur Gemeinsamkeit, hilft nur geschlossenes Handeln!

Die Parteien reiben sich auf mit kleinlichen Streitereien, Voreingenommenheit, einseitigen Diffamierungen. Es wird vorrangig nur betont, was die anderen falsch machen. Für die Menschen wichtige, lohnende Ziele treten in den Hintergrund.

Diese Situation nutzen die rechtsgerichteten Gruppierungen und Kräfte konsequent und leider mit Erfolg aus.

Die Gefahr einer rechten Diktatur droht mehr denn je.

Warten wir nicht, bis es zu spät ist.

Alle demokratischen Bewegungen vereinigt Euch, gegen eine drohende Diktatur!

Max Balladu und Anni Kloß