Die Akte
- März 2000
Hauptkommissar Schreyer betrat schwungvoll sein Büro im Gebäude der Polizeidirektion des Landes in Halle. Als sein Blick auf den Berg Papiere auf seinem Schreibtisch fiel, brummte er ein wenig verdrossen vor sich hin: „Diese verdammten Akten.“ Doch das konnte seine gute Laune heute trotzdem nicht verjagen, denn es gab ja auch ausgesprochen interessante Fälle aus der Vergangenheit, die bis in die Epoche des Kalten Krieges zurückreichten.
Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung verblasste die Erinnerung an diese Zeit bei immer mehr Menschen. Viele Politiker, Manager und verschiedene andere Menschen aus dem Westen waren damals in den Osten gekommen und hatten Besitz von ihrem neuen Eigentum ergriffen. So wurden die Menschen in der DDR nicht nur durch die politischen Ereignisse, sondern auch durch den neuen Typ Mensch, den sogenannten Wessi, durcheinander gerüttelt. Es entstand der Ossi. Neben tausend anderen Veränderungen kam es auch dazu, dass ein Mann wie Malte Schreyer, der in Wismar mehr oder weniger glücklich gelebt und gearbeitet hatte, nach Halle an der Saale umsiedeln musste.
Der 1943 geborene, einen Meter 80 große Mann mit schlanker, sportlicher Figur, hoher Stirn und dunklen, immer ziemlich kurz geschnittenen Haaren, war nach seinem Abitur 1961 drei Jahre freiwillig zur Armee gegangen. Anschließend fuhr er vier Jahre auf dem 10.000-Tonnen-Stückgut-Frachter ‚Leipzig‘ zur See. Schreyer hatte es bis zum Bootsmann gebracht, aber über seine Dienstzeit hinaus berühmt wurde er durch die brillante und kurzfristige Aufklärung von Diebstählen an Bord des Schiffes. Allerdings brachte ihm das den Spitznamen Klärchen ein, was ihm gar nicht gefiel und den er deshalb auch geheim zu halten versuchte. Schreyer besuchte die Volkspolizeischule ‚Ernst Thälmann‘ in Neustrelitz, wurde Ermittler bei der Kripo in Wismar und schaffte es bis zum Hauptmann. 1995 wurde er als Hauptkommissar nach Halle versetzt und hier als Leiter der SOKO 08-15 eingesetzt. Diese Entscheidung hatte er im Interesse seiner Kollegen in Wismar selbst getroffen, weil er inzwischen allein lebte. Die Frau war bereits 1987 an Krebs gestorbenen und seine Tochter, die einen Dänen geheiratet hatte, lebte mit Mann und sechsjähriger Tochter in Kopenhagen. Schreyer wirkte unnahbar und trat bewusst unzugänglich auf. Wem es gelang, durch die harte Schale des Mannes, mit den inzwischen grau melierten Haaren durchzudringen, der konnte einen überaus sympathischen Menschen kennenlernen, der sich neben seinem Beruf für Philosophie, Musik und natürlich die Seefahrt interessierte.
Gestern war der Hauptkommissar auf einen Aktenordner gestoßen, dem er nach kurzem Studium den Titel ‚Die west-östliche Akte’ verpasst hatte. Der Fall begann im Westen Deutschlands in Düsseldorf, aber die meisten Aktivitäten spielten sich dann doch offensichtlich vorrangig in der DDR, in dem riesigen Chemiewerk LUNA ab. Schreyers kriminalistischer Spürsinn sagte ihm, dass das vor zwei Jahren in der Nähe von Wansleben von Kindern beim Spielen auf einem ehemaligen Übungsgelände der Sowjetarmee gefundene Skelett zu diesem Fall dazugehören könnte, genauso wie die 1995 im Unternehmen OPA Industrial bei der Umrüstung der C-V-Anlage gefundenen Überreste einer männlichen Leiche. Deshalb legte er diese Befunde zu der ‚west-östlichen Akte‘ dazu. Natürlich wusste er noch nicht, welcher Art die Zusammenhänge sein könnten, denn es war vorerst ja nur so ein Gefühl, aber es gab auch ein paar kleine Besonderheiten. Zuerst musste er sich mit der Vergangenheit des Chemiewerkes beschäftigen.
Das große volkseigene Kombinat LUNA war 1995 von der französisch-amerikanischen Firma Ouverage de Paille oder kurz OPA Industrial genannt, übernommen worden und der alte Firmenname tauchte nur noch in den Bezeichnungen von Sportvereinen oder in den Gesprächen der älteren OPA Beschäftigten auf.
Während Schreyer sich erneut mit der linken Hand den Obduktionsbefund der Leiche von Wansleben griff und studierte, machte er sich mit der rechten auf einem weißen Blatt Papier ein paar Notizen zu den Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen. Der Kommissar drehte die Akte des gedruckten ärztlichen Gutachtens etwas seitlich, denn das erste Blatt zierte ein handschriftlicher Vermerk: ‚Sieht aus, wie eine Kriegsverletzung’, die wahrscheinlich von dem obduzierenden Mediziner stammte.
„Das musst du mir erklären, meine Verehrteste“, brummte Schreyer vor sich hin und stand auf. An der Tür machte er noch einmal kehrt, ging zu seinem Schreibtisch zurück, nahm auch den anderen Obduktionsbefund aus der Aktenmappe heraus und eilte aus seinem Büro.
Die für Schreyers Fälle zuständige Rechtsmedizinerin der Staatsanwaltschaft war Dr. Helene Schenk, eine Frau mit unauffälligem Äußeren, einer Größe von einem Meter fünfundsechzig, dunkelblonden, relativ kurz geschnittenen Haaren, grau-blauen Augen und schlanker, sportlicher Figur. Die ein wenig gebogene, vielleicht auch etwas zu große Nase, machten das Gesicht auf den ersten Blick unansehnlich, aber für den aufmerksamen Beobachter verlor sich nach kurzer Zeit nicht nur diese Hässlichkeit, sondern er empfand im Gegenteil alles Negative plötzlich als schön und bemerkte dann auch die weiblichen Reize der Frau und ihren kühlen Charme. Für Schreyer war die Schenk der erste Mensch in Halle, zu dem er sich hingezogen fühlte. Er konnte es sich nicht hundertprozentig erklären, aber dieser Frau vertraute er. Ja, sie war für ihn wirklich ein Freund.
Die 1953 geborene Hallenserin hatte gleich nach dem Abitur an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Medizin studieren können, weil beide Elternteile zur Arbeiterklasse gehörten. Nach zwei Jahren Arbeit als Assistenzärztin an der Universitätsklinik, in der sie auch ihre Promotionsarbeit erfolgreich verteidigte, versuchte die Stasi sie anwerben. Sie sollte als Arzt für diese Firma arbeiten. Das lehnte sie strikt ab. Daraufhin musste die Unileitung sie unter fadenscheinigen Gründen abschieben und sie erhielt im Elisabeth-Krankenhaus eine Anstellung als Hilfskraft, wodurch sie sich ein bisschen Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. 1981 gelang ihr die Flucht in den Westen. Dort hatte die Schenk Glück, denn sie erhielt eine Stelle am Institut für Rechtsmedizin am Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und entwickelt sich zu einer hervorragenden Rechtsmedizinerin. 1992 erhielt sie vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Halle (Saale) ein interessantes Angebot und kehrte in ihre Heimatstadt zurück. In der neuen Funktion wurde sie auch bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen im Auftrag der Staatsanwaltschaft eingesetzt.
Schreyers Weg war kurz und so betrat er schon nach zwei Minuten die kühlen Räume des Außenstellenlabors des Instituts für Rechtsmedizin im Kellergewölbe der Polizeidirektion.
„Hallo, Helene, hast du mal einen Moment Zeit für mich?“
„Für einen Südschweden doch immer“, und weil Schreyer abwehrend die rechte Hand hob, ergänzte sie, „oder ist es dir lieber, wenn ich dich mit Fischkopp anrede?“
„Du bist ein unverbesserlicher Halunke du Hallorin oder Halunkin du Hallore? Na egal.“
Schreyer warf die Akte auf den Tisch.
„Was willst du mit diesem Satz andeuten, Helene?“
„Ist das nicht interessant, Malte, es gibt keine weibliche Form von Hallore oder Halunke? Wir Frauen sind wohl doch eher alle Hexen.“ Sie lachte belustigt auf, wehrte einen Widerspruch von Schreyer ab und zeigte auf die Akte. „Endlich einer, der darüber stolpert. Der Befund hätte mich im Krieg nicht gewundert, weil da mehrere Verletzungen gleichzeitig durchaus denkbar waren, aber 1979 und dann auch noch in der DDR?“
Die Schenk schüttelte energisch den Kopf. „Also, der Unterschenkel könnte durch eine Mine abgerissen worden sein. Doch es bleibt natürlich die Frage, wie konnte gleichzeitig ein Splitter zum Herz gelangen? Vielleicht ein Querschläger, Abpraller? Oder doch ein zweites Ereignis? – Aber das glaube ich eher nicht.“
„Wie kommst du ausgerechnet auf Mine, Helene?“
„Weil das Teil auf alle Fälle am Boden gelegen haben und der Mann da draufgetreten sein muss.“
„Aha, das verstehe ich. Was könnte es anstelle einer Mine noch gewesen sein?“
Die Schenk schwieg und Schreyer versuchte selbst, die Frage zu beantworten. „Munition entfällt, denn die braucht einen Schlagbolzen. Was gibt es noch? Wurfgranaten? – Ja, vielleicht hat er zu spät losgelassen?“
„Auf keinen Fall! Nein, Malte, dann wäre die Verletzung generell weiter oben gewesen.“
„Das Ding ist ihm aus der Hand gefallen?“
„Das könnte schon eher sein. Aber auch dann müsste die Verletzung anders aussehen. – Er muss – definitiv – draufgestanden haben.“
„Mensch, Helene, warum sollte er sich auf eine heruntergefallene Handgranate stellen?“
„Ja, das klingt zwar doof, aber vielleicht hat er sie nicht gesehen und ist aus Versehen …“
„Aber das könnte ja bedeuten, dass er vielleicht geworfen hat, aber das Teil ist nicht explodiert …“
„… er ging die Handgranate suchen …“
„… dabei ist er dann draufgetreten …“
„… und da ist das verfluchte Ding explodiert!“
„So könnte es gewesen sein, Helene.“
„Aber warum haben die das damals nicht untersucht, Malte?“
„Das wundert mich auch. Da sollte bestimmt etwas unter den Tisch gekehrt werden, aber was? Warum? Und von wem?“
„Überleg mal, Malte, das geschah 1979. Das große Komplexvorhaben in LUNA war in vollem Gange. Damals trafen doch massenweise“, die Frau sah grinsend zu Schreyer, „die Klassenfeinde Wessis und Ossis aufeinander.“
„Ja und damit auch jede Menge V-Männer von beiden Seiten. Also eine Kollision der Geheimdienste?“
Nun schwiegen beide, hingen ihren Gedanken nach, bis die Schenk plötzlich sagte, „da wirst du wohl oder übel mit unseren Geheimen sprechen müssen, Malte.“
Schreyer schüttelte seinen Kopf. „Ich versuche erst einmal allein zurechtzukommen, Helene, denn die können mir ja sonst was erzählen.“
Die Schenk nickte. „Und Schriftliches haben die doch bestimmt sowieso nicht viel oder?“
„Du sagst es.“
Wieder sinnierten die beiden vor sich hin.
Trotz James Bond werden nirgendwo in der Welt Geheimdienste geliebt, egal ob sie CIA, KGB, MI6, Kang Sheng, Mossad oder Stasi heißen. Auch die bundesdeutschen Geheimdienste machten da keine Ausnahme, obwohl die sich zum Beispiel hinter dem harmlosen Namen Nachrichtendienst (im Buch Nadies genannt) verbargen.
Die Schenk tauchte als Erste wieder aus ihren Gedanken auf.
„Was hast du außerdem mitgebracht, Malte, was sind das für Papiere?“
„Das ist das medizinische Gutachten der Leiche, die sie 1995 in LUNA ausgegraben haben.“
„Ist ja interessant. Ist dir also ebenfalls aufgefallen, dass dieser Tote auch Besonderheiten aufweist?“
„Eigentlich habe ich die Akte nur aus einem Gefühl heraus mitgenommen.“
„Guter Instinkt, Malte, denn meiner Meinung nach ist der Mann nicht nur von einer großen Höhe auf einen harten Untergrund aufgeprallt, sondern muss vorher erschlagen worden sein.“
„Wie kommst du darauf, Helene?“
„Die Kopfwunde muss dem Mann kurz vor dem Fall beigebracht worden sein.“
„Ach was? Ist ja interessant. Das muss ich mir merken.“
Schreyer machte sich eine Notiz auf einem kleinen Zettel.
„Ich danke dir, Helene, dass du mit mir überlegt hast.“
„Mit dir kann man das wenigstens, Malte.“
„Ja, ja, ich weiß, die anderen wollen immer nur bestimmte Informationen und zwitschern sofort wieder ab, obwohl …“
„… obwohl im Gespräch, beim gemeinsamen Denken, oft viel besser Zusammenhänge erkannt werden können“, setzte die Schenk den Gedankengang fort.
„Apropos Zusammenhänge, Helene“, Schreyer erhob sich, „das erinnert mich wieder an meine Arbeit. Also nochmals danke und mach’s gut.“
Die Schenk stand gleichfalls auf.
„Keine Ursache und komm bald mal wieder, Malte.“
Sie schüttelten sich die Hände, und während der Ermittler den angenehm kühlen Laborraum verließ, sah ihm die Frau nachdenklich hinterher.
Dieser Schreyer hatte ihr vom ersten Tag an gefallen. Obwohl er als Mann eher 08-15 aussah, strahlte er auf sie eine solche Sympathie aus, dass er in ihren Augen zu einem attraktiven Mannsbild wurde. Die Freundschaft mit Schreyer erfüllte das Herz der an Literatur, Musik und Geschichte interessierten Frau mit Wärme, sie fühlte sich pudelwohl in seiner Nähe und sie hatte das tiefe Empfinden diesem Menschen unbedingt vertrauen zu können.
In den folgenden sechs Monaten ermittelte Hauptkommissar Schreyer in seiner gewohnten stillen, norddeutschen Art.
Er konsultierte auch noch mehrere Male die Rechtsmedizinerin Dr. Schenk und kam zu erstaunlichen Ergebnissen. Trotzdem enthielten seine Erkenntnisse Lücken, die nur durch zwei Menschen hätten geschlossen werden können, die der kluge Kommissar aber erst bei der Bearbeitung seines zweiten Falles kennenlernen würde.
Die Geschichte der west-östlichen Akte begann am Donnerstag dem 9. Februar im Jahr 1978 in der Nähe von Düsseldorf.
Der Bankraub
Februar 1978
Am Donnerstag, dem 9. Februar, eine Minute vor 18 Uhr, stürmte ein maskierter Mann in die Novalisbank einer Kleinstadt im Städtedreieck Düsseldorf – Köln – Mönchengladbach und brüllte:
„Hände hoch! Das ist ein Überfall!“
Ein Schuss krachte und sofort rissen die drei anwesenden Kunden und zwei Bankangestellten die Hände nach oben, nachdem sie sich bei den laut gebrüllten Worten nur mehr oder weniger neugierig umgesehen hatten.
Der schlanke junge Mann mit der Strumpfmaske über dem Gesicht ging, die Pistole nach vorn gerichtet, auf eine Bankangestellte zu, knallte ihr einen grauen Campingbeutel auf die Barriere und befahl:
„Holen sie das Geld aus dem Nebenraum!“
Er zeigte auf eine, in der mit Holzfurnier elegant verkleideten Wand, kaum sichtbare Tür.
Die junge Frau zögerte zwei Sekunden. Sofort hob der Mann die Pistole an und schoss erneut in die Decke. Die kleine Person zuckte zusammen und stolperte auf eine schmale Tür zu, die in der dunklen holzfarbenen Wand fast nicht zu sehen war, griff zur Klinke, die Tür war verschlossen. Aufgeregt drehte sie sich zu dem Bankräuber um, der ihr auf den Fersen geblieben war. Der Mann trat dicht an die Tür heran, setzte die Pistole zielgerichtet auf einer bestimmten Stelle des Schlosses an, schoss und die Tür sprang von allein auf. Der Räuber drückte der ihn entsetzt anstarrenden Bankangestellten einen Spezialschlüssel in die Hand, schob die Frau in den Raum und befahl schroff, mit der Waffe demonstrativ hin und her wedelnd:
„Den ersten Metallschrank auf der rechten Seite öffnen!“
Die Frau führte mit zittrigen Fingern den Schlüssel ins Schloss, drehte zweimal, öffnete die Tür und sah erstaunt auf die in zwei getrennten Abteilen aufgestapelten Geldbündel.
„Nur das Geld aus dem rechten Fach!“, brüllte der Mann ihr von hinten in die Ohren, während er drohend die Waffe auf den anderen Bankangestellten richtete, damit der nicht auf die Idee kommen würde, den Alarmknopf zu drücken. Gehorsam stopfte die verängstigte, zitternde Frau von hinten beginnend das Geld in den Beutel. Als das Fach leer war, sah sie sich wieder fragend um, doch der Mann riss ihr nur die Tasche aus der Hand, machte kehrt, ging schnell in Richtung Tür, blieb aber in der Mitte des Raumes noch einmal stehen und schoss wieder in die Decke. Dann verschwand er rasch aus dem Geschäftsraum. Erst jetzt drückte der männliche Bankangestellte hastig den Alarmknopf.
Der junge Bankräuber rannte aus dem Gebäude, wandte sich gleich nach rechts, bog in die ebenfalls nach rechts führende Nebenstraße ein, riss die Tür zu dem dort mit laufendem Motor wartenden Auto auf und sprang hinein. Die am Steuer sitzende junge Frau gab Gas, raste die leicht abfallende Straße hinunter und weiter in Richtung Stadtausgang. Sie wollte von hier auf die in der Nähe von Düsseldorf vorbeiführende A57 und von da weiter nach Norden fahren.
Obwohl alles sehr schnell gegangen war, hörten sie doch schon die Sirenen der Polizei.
„Fahr zum Lagerplatz vom Apparatebau“, sagte der Mann ruhig. Die junge Frau nickte, ohne den Blick von der Straße zu nehmen und nach zwei Minuten bog sie schwungvoll in eine große, offen stehende Toreinfahrt ein, fuhr zwischen diversen, hier im Freien gelagerten Apparaten und Behältern hindurch, schwenkte dabei mal links, mal rechts ein und hielt an. So waren sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen.
„Du versteckst dich hier mit dem Geld“, sagte der Mann, „ich fahre mit dem Auto weiter und lenke die Bullen ab.“
Sie stiegen beide aus. Der Räuber drückte seiner Komplizin den Campingbeutel mit der Beute in die Arme.
„Gut, dass wir an einen Ersatzwagen für den Notfall gedacht haben“, sagte die junge Frau.
Der Mann setzte sich, ohne zu verweilen auf den Fahrersitz und fuhr los in Richtung des auf der anderen Seite des Lagerplatzes befindlichen zweiten Ausgangs.
Romy Haase sah ihrem Gefährten Hans Krause nur kurz hinterher, dann blickte sie sich aufmerksam um, wo sie die Beute am besten verstecken könnte. In der Ferne hörte sie immer wieder die Polizeisirenen aufheulen. Das machte die Haase ein bisschen nervös, obwohl sie auch den Fall ihrer Festnahme besprochen hatten. Dennoch hoffte Romy natürlich, dass sie und auch ihr Partner den Bullen entwischen könnten. Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Aufgabe, sah sich aufmerksam auf dem Lagerplatz um und ging langsam weiter. Bei der Suche nach einem geeigneten Versteck schritt sie zweimal an einem großen Apparat mit einer Länge von mindestens 50 Metern und einem Durchmesser von 3 Metern vorbei. Aus unerklärlichem Grund faszinierte sie der riesige Apparat. Beim zweiten Vorbeigehen entdeckte sie an einer Stelle einen freien Raum unter dem Blech, mit dem immer abschnittsweise fast die gesamte Säule, eingehüllt war. Romy zog von dem eigenartigen, groben, wie Wolle wirkenden Stoff noch ein bisschen mehr aus der Öffnung heraus, stopfte den Beutel in die Aushöhlung hinein und drückte einen Teil des Materials hinterher, sodass nichts mehr von dem Campingbeutel zu sehen war.
Das Versteck schien perfekt zu sein.
‚Aber, verdammt, wie merke ich mir nun diese Stelle?’, schoss es ihr durch den Kopf.
Sie trat zwei Schritte zurück, ließ ihren Blick über die gesamte Länge des Apparates schweifen und entdeckte dabei mehrere, sich in gleichem Abstand zueinander befindende Ausbuchtungen, die alle mit einem Deckel verschlossen waren und die noch nicht mit Wolle und Blech eingehüllt worden waren. Das Versteck befand sich genau am dritten Deckel. Weil es fünf davon gab, war es egal, von welcher Seite man zählte.
‚Gott sei Dank’, stöhnte Romy leise, denn sie hätte nicht sagen können, wo oben oder unten an diesem Gerät war. Wenn sich morgen oder übermorgen alles beruhigt hatte, wollte sie, möglichst mit ihrem Kumpel, die Beute hier wieder abholen. Die Haase war sich sicher, dass dieses Versteck so schnell keiner finden würde.
Beruhigt und schon fast ein wenig frohlockend machte sie sich zu Fuß auf den Weg zum Ersatzauto, das gemäß Schlachtplan an den Bayersportanlagen in der Nähe des Rheins von ihnen abgestellt worden war. Auf dem kurzen Weg dahin gingen ihre Gedanken zum gestrigen Tag zurück.
Das breite Bett in dem Luxusappartement knarrte von den heftigen Bewegungen des etwas zur Fülle neigenden Mannes und wurde nur ab und zu ergänzt durch ein leises lustvolles Stöhnen. Dass der alte Sack so gut vögeln konnte, hätte Romy gar nicht für möglich gehalten, aber umso besser für sie, da hatte sie eben auch ein bisschen Spaß und sie seufzte mehr aus Erleichterung als vor Lust.
Gleich zu Beginn der sexuellen Handlungen war es ihr gelungen von dem Schlüssel, den der Mann an einem goldenen Kettchen um den Hals trug, einen Seifenabdruck in einem vorbereiteten Kästchen zu machen. Die kluge Frau nutzte dazu den Augenblick, als beide am Anfang des Liebesspiels schon fast nackt waren und der Mann versuchte, ihr den BH aufzumachen. Als das Kleidungsstück fiel, drückte die Frau ihre nackten Brüste so derb auf den Schlüssel, dass der harte Gegenstand beide schmerzte.
„Au!“, rief Romy übertrieben laut.
„Verdammt!“, schimpfte der Mann und warf das Kettchen auf den Rücken.
Sofort griff die Frau dem nackten Mann an die Hoden, dass dem Hören und Sehen verging, und presste ihren Körper erneut gegen seinen. Romy ließ die Eier los, denn jetzt hatte sie für einen winzigen Moment freie Hand. Die Haase war sehr geschickt und flink. Sie brauchte zwei Sekunden den Schlüssel in die geschmeidige Seife zu drücken und das kleine Kästchen neben das Bett fallen zu lassen, wo Teile ihrer Kleidung lagen. Zwar wusste sie noch nicht genau, wozu dieser Schlüssel nützlich sein könnte, aber das würde sie schon noch herausfinden. Sie ließ sich langsam auf das Bett sinken, zog den Mann an dessen Glied hinterher und half ihm in sie einzudringen.
Der Bankdirektor kannte Romy nur als Ronja, einem Namen, mit dem sie bei der Begleitagentur ‚Fair Lady‘ gemeldet war.
„Erzähl mir was von deinem Geld, Huberti, das macht geil, weißt du?“, säuselte die Haase erleichtert.
„Geil ist gut“, stöhnte Dr. Hubertus von Stielemann, „und ich will, dass du, Ronja, auch geil bist, wenn ich dich ficke.“
Er drückte seinen, durch das Vorspiel wohltuend steifen Schwanz besonders tief in die Frau hinein. Deren Stöhnen machte ihn noch lüsterner und, wie von Romy erhofft, auch gesprächiger, denn plötzlich begann der knapp 54-jährige Chef der Privatbank Novalis, zu erzählen.
„Ja, du hast recht. Ha! Geld ist geil und macht scharf. Man kann eigentlich nie genug davon haben. Das ist wie ein Wahn, ein mächtiger Trieb, eine Sucht, nackte Gier. – Ah! – Das verrückte ist, dass dieses Gefühl noch gesteigert wird, wenn du dabei gegen Gesetze verstößt, und sollte es auch nur ein ganz kleines bisschen sein.“
Mit angenehmer Überraschung stellte der Mann fest, dass dieses Gerede seine Lust steigerte, aber offensichtlich den Samenerguss hinauszögerte, was ihm garantierte, dass er den Fick mit dieser schönen Frau viel länger würde genießen können, als es das erwartet hatte. Mit dieser erstaunlichen, ihn angenehm berührenden Erkenntnis, sprach Stielemann fröhlich weiter: „Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, wie geil Schwarzgeld ist, Ronja?“ Stielemann hörte auf sich zu bewegen und wartete auf eine Antwort.
„Das ist saugeil, du Tiger“, flüsterte Romy und ‚außerdem hochinteressant für mich‘, dachte sie. „Erzähle weiter, Huberti, aber vergiss nicht zu vögeln. Du machst das so wunderbar, du geiler Arsch!“
Sofort bewegte Stielemann sich weiter, besonders angeregt durch die obszönen Worte der schönen Frau.
„Also, zu Schwarzgeld komm ich vor allen Dingen durch meinen Autohandel. Da wird fast ausschließlich mit Bargeld gearbeitet.“
Unter Stöhnen und Ächzen redete er von weiteren großen und kleinen Tricks beim Steuerbetrug, der Geldwäsche durch Scheingeschäfte einschließlich des Transports und der Lagerung der Moneten in ausländischen Banken.
Die Frau unterbrach den Redefluss, indem sie den Mann kräftig an den Eiern packte. „Und, Huberti? Habt ihr davon auch was in eurer Bank?“
„Oh, oh, schön, drücke zu, – ah, – oh, – na klar, was denkst denn du.“ Der Direktor schnaufte laut und musste erst einmal tief durchatmen, bevor er weitersprechen konnte. „Das Geld muss man doch sammeln und unauffällig irgendwo unterbringen, bis es weggeschafft werden kann.“
Romy umklammerte mit ihren Beinen den Oberkörper des Mannes, drückte ihn so an sich, dass sein Penis besonders tief in sie eindrang. Die Haase stöhnte laut auf. Dieses Mal musste sie nicht schauspielern und fragte mit gepresster Stimme: „Habt ihr dafür einen speziellen Platz?“
„Du bist fantastisch, Ronja, ich war noch nie so geil beim Vögeln.“
Sie ließ ihn wieder ein bisschen los, sodass er Schwung holen konnte, presste ihn dann wieder mit ihren Beinen an sich und von Stielemann stammelte unter Stöhnen: „Der Raum liegt gleich neben dem zweiten Schalter und ist in der holzgetäfelten Wand kaum zu sehen. Kein Mensch vermutet, dass in dem gleich vorn rechts stehenden, sicher verschlossenen Stahlschrank, zu dem nur ich einen Schlüssel besitze“, der Bankdirektor lachte kurz auf, „im rechten Fach knapp fünf Millionen und im 2. Fach links daneben scheinbar genauso viel drin ist. Aber – pah!, da liegen nur Bündel mit kleinen Scheinen, also nur knapp zweihunderttausend … – verdammt – ah – jetzt kommt’s“, ächzte Stielemann und Romy tat ihm gern den Gefallen laut mitzustöhnen, denn immerhin wusste sie nun auch, wozu der Schlüssel gut war.
„Ja, Huberti, bei mir auch! Los! Noch ein bisschen! Ja stoß noch mal zu! Stoß zu! – Ah – schööööön.“
Stielemann blieb schnaufend auf der Frau liegen.
‚Man, ist der Kerl schwer, habe ich bisher gar nicht gemerkt’. Sie schob den Körper langsam zur Seite, was der immer noch schwer atmende Mann auch mit sich geschehen ließ.
Hubertus von Stielemann hatte seine Befriedigung bekommen und die junge Frau die notwendigen Informationen.
Romy Haase erhob sich von dem breiten Bett, das im Raum eines Fünfsternehotel stand, zog sich an, ließ das Seifenkästchen mit dem Abdruck des speziellen Sicherheitsschlüssels in ihrem kleinen Täschchen verschwinden, klatschte dem noch auf dem Bett liegenden Stielemann mit der flachen Hand auf den nackten Po, zwitscherte fröhlich, „na dann, tschüss, bis zum nächsten Mittwoch“, und verließ leise lachend das Zimmer. Sie hopste die Treppen hinunter, schritt ruhig durch das Foyer, sprang in eine der vor dem Eingang bereitstehenden Taxen und versank in Gedanken, nachdem sie dem Fahrer das Ziel zugerufen hatte.
Romy, deren richtiger Vorname Rosemarie lautete, aber alle sagten nur Rosa oder eben Romy zu ihr, war die Tochter eines in der Metallindustrie beschäftigten, gut bezahlten Meisters. Die Mutter musste nicht arbeiten gehen, aber sie war auch mit ihrem Hausfrauendasein zufrieden. Romy war bis zum Abitur durch die Schule gerauscht, ohne über irgendein einziges größeres Problem zu stolpern. Das verdankte sie unter anderem wohl vor allen Dingen ihrem ausgeglichenen Charakter und ihrer unauffällig sympathischen Erscheinung. Mit dem fast immer freundlichen, durch schöne blaue Augen geschmückten und Optimismus ausstrahlendem Gesicht, das von wie Seide wirkenden schwarzen Haaren eingerahmt wurde, ging von Romy fast immer eine frohe, auf die anderen Menschen übergreifende, aufhellende Stimmung aus. Mit zunehmendem Alter hob sich von der sportlich, schlanken Figur dezent ein wohlgeformter Busen ab, der der jungen Frau außerdem einen angenehmen weiblichen Zug verlieh. Doch nach dem Abitur, mit der Aufnahme ihres Literaturstudiums an der Uni in Köln, geriet ihr Leben aus den Fugen. Fast jeden Tag entdeckte sie neue Widersprüche zwischen dem, was sie bisher für richtig gehalten hatte, was geredet wurde und dem, was tatsächlich in der Welt passierte. Sie bemerkte die einseitig gefärbte Berichterstattung der Medien, die Macht der Wirtschaft durch demokratisch verbrämte, diktatorische Einflussnahme der Bosse auf die Gesellschaft, die Unterwanderung aller demokratischen Systeme sowie die damit verbundene Abhängigkeit der Justiz von den Geldsäcken. Sie bemerkte mit einem Male, das wie eine Sucht wirkende, völlig gedankenlose Konsumverhalten der Menschen. Der Vietnamkrieg, die Berichterstattung darüber, die Gleichgültigkeit der meisten Menschen, die Empörung eines Teils der Studenten brachte für sie das Fass zum Überlaufen. Sie beteiligte sich an Studentendemonstrationen, durchlebte wilde Zeiten und wurde letztendlich am Ende des vierten Studienjahres exmatrikuliert. Dieses Ereignis traf sie hart. Sie liebte Literatur und sie wollte auch unbedingt studieren. Und nun stand sie schon vor dem Aus. Von da an schlug sie sich recht und schlecht durchs Leben, bis sie Hans kennenlernte. Die in den vergangenen Monaten ihres Lebens arg gebeutelte, von den Menschen bitter enttäuschte, ein bisschen heruntergekommene, attraktive Romy, traf auf den lebenslustigen, voller Energie steckenden Hans Krause, der aber immer noch vergebens nach dem Besonderen, dem Wesentlichen oder wenigstens dem für ihn Nützlichen nachforschte. Die Suche nach dem Sinn ihres Daseins und des Lebens in dieser Gesellschaft überhaupt führte sie zusammen.
Die Taxe hielt in der Münsterstraße. Die Haase bezahlte, stieg aus, schwenkte in den Vogelsanger Weg ein und verschwand über einen kleinen Nebeneingang hinter den Büschen und Bäumen des Kleingärtnervereins ‚Zum Faselbusch‘ e. V.
Am gleichen Tag nutzte Hans Krause eine günstige Gelegenheit zur Erkundung des Fluchtweges. Nach Abschluss der Reparaturarbeit an einem Mercedes ging er zu seinem Chef.
„Meister, ich habe den Thermostaten ausgewechselt, wollen sie die Probefahrt machen?“
„Nee, nee, is jut, Hans“, der weißhaarige Meister winkte mit der Hand, „mach nur, du hast doch auch repariert.“
‚Von wegen repariert’, dachte Krause, ‚heute wird doch alles nur noch ausgewechselt.’
Während er sich in das Auto schwang, musste er an die Erzählungen seines Vaters denken, wie der in der DDR seinen Trabbi eigenhändig immer wieder zum Laufen gebracht hatte. Wer da drüben ein Auto besaß, der konnte vieles selber machen oder er kannte jemanden, der das konnte. Obwohl der Vater begeistert von dieser Zeit in der DDR sprach, war er doch schon vor 1961 mit seiner dreiköpfigen Familie in den Westen ausgerissen. Warum eigentlich?
Hans war zwar noch in der DDR eingeschult worden, aber Erinnerungen an diese Zeit hatte er keine mehr. Er durchlief von der Mitte der ersten Klasse bis zum Abschluss der zehnten die Realschule schon im Westen Deutschlands, brachte eine Lehre als Klempner hinter sich, aber eine Anstellung, die ihm auch gefiel, fand er nicht. So wechselte er von einem Betrieb zum anderen. Am längsten hatte er als Operator in einem Chemiewerk der Boechst gearbeitet.
Eigentlich war er ein sehr guter Schüler gewesen, sodass die Lehrer ihn aufs Gymnasium schicken wollten, aber das hat sowohl ihm selbst nicht gefallen, als auch seinem Vater nicht gepasst, denn der war der Meinung, dass der Sohn möglichst schnell Geld verdienen sollte. Inzwischen bereute Hans, dass er nicht weiter zur Schule gegangen war, denn in diesem Land zählten nur Geld, Karriere und noch mal Karriere und Geld. Zu spät begriff er, dass außerdem die Möglichkeiten stiegen, das Leben vielseitig und sinnvoll zu gestalten, je besser die eigene Ausbildung war und umso günstiger entwickelten sich natürlich auch die Chancen, zu Geld zu kommen.
Der einen Meter neunzig große, schlanke und doch athletisch gebaute junge Mann, fiel außer durch seine Größe unter anderen Menschen kaum auf, weil er ein Allerweltsgesicht besaß, ohne irgendwelche Besonderheiten und auch die dunkelblonden Haare und grau-blauen Augen änderten nichts an diesem Eindruck. Wenn man sich allerdings mit dem jungen Mann unterhielt, nahm sein Aussehen sofort schärfere Konturen an. Es kristallisierte sich rasch ein witziger und intelligenter, zu logischem Denken fähiger und kluger Mensch heraus. Das Leben hatte ihn schon so geprägt, dass er Härte vertrug und auch hart gegen andere vorgehen konnte, aber ohne zu übertriebener Brutalität und grausam-rücksichtlosem Handeln zu neigen.
Krause hatte trotz seiner Jugend schon die Schnauze voll vom Leben. Diese ständige Jagd nach dem Mammon. Die im Land verbreitete Anbetung reicher Leute, wie Spitzensportler, Schlager- oder Filmstars, lächelnde, scheinbar allwissende Politiker, alter Adel, oder noch besser, gleich beides zusammen – lächelnder, adliger, allwissender Politiker. Dazu die verlogenen Kirchenleute mit den ach so Weisen und Ehrwürdigen, bis hin zum Greissuperstar Papst an der Spitze der katholischen Kirche, waren ihm zutiefst zuwider. Hans suchte nach Alternativen. Irgendwo musste doch der Sinn des Daseins, der Sinn des Lebens für einen einfachen, normalen Menschen zu erkennen sein. Er musste eine Aufgabe, eine Beschäftigung finden, die ihn mit Befriedigung erfüllen könnte. Das sollte durchaus etwas Handwerkliches sein, wie Klempner, Schlosser oder noch schöner wäre Autoschlosser. Ja und mit der richtigen Ausbildung konnte er sich vielleicht eine eigene KFZ-Werkstatt einrichten? – Oder sollte er auswandern? Aber wohin? – Außerdem brauchte er dafür auch Geld und das hatte er natürlich nicht.
In dieser Situation traf er auf Romy Haase, der es scheinbar so ähnlich ging, wie ihm. Sie setzten die Überlegungen zur Veränderung ihres Lebens gemeinsam fort. Je mehr sie nachdachten, umso klarer wurde ihnen, dass ohne Geld auch die schönsten Fantasien in dieser Welt nur Träume bleiben würden. Also hatten sie sich dem Gedanken genähert, einen solchen Coup zu planen, der ihnen so viel Moneten einbringen würde, dass sie damit ihre Vorstellungen, jeder die Seinigen, verwirklichen könnten. Die Auffassungen darüber waren zwar noch sehr verschwommen, aber es sollte etwas Sinnvolles sein, etwas, dass jeden von ihnen beschäftigte, sie ernährte und ihnen gestattete, frei und unabhängig zu leben. Dabei dachten sie keinesfalls an eine gemeinsame Zukunft. Das war im Moment ohnehin nicht so wichtig, auch wenn sie schon miteinander Sex gehabt hatten. Beide erkannten, trotz ihres noch jungen Alters, dass jeder Mensch eine gewisse persönliche Freiheit benötigte, auch dann, wenn man daran dachte, ein Leben lang zusammenleben zu wollen. Vielleicht war das ja ganz und gar die Voraussetzung dafür?
Inzwischen war Hans von Düsseldorf über die A 57 bis Dormagen gelangt, lenkte den leise schnurrenden Mercedes durch die Innenstadt, umkurvte die Novalisbank und fuhr in Richtung Industriegelände des Apparatebaus. Obwohl es mitten am Tage war, steuerte er das Auto über ein scheinbar immer offen stehendes Tor auf den riesigen Lagerplatz der Firma. Große und kleine Kranautos, Gabelstapler und Transporter fuhren hier geschäftig hin und her. Niemand nahm Notiz von ihm. Das Gelände war mindestens zweihundert Hektar, also quasi zweihundert Fußballfelder groß. Nachdem er befriedigt festgestellt hatte, dass auf der anderen Seite des Geländes ein zweiter Ausgang vorhanden war, fuhr er zum ersten Eingang zurück, hielt dort noch einmal an und betrachtete sich das Portal genauer.
‚Warum haben die das Tor hier überhaupt installiert?’, fragte sich Hans, denn hochgewachsenes Unkraut und Gras machten deutlich, dass es schon sehr lange Zeit nicht mehr geschlossen worden war. Es war dasselbe wie beim Ausgang beziehungsweise Eingang auf der anderen Seite.
‚Das ist aber sehr gut für unseren Plan’, dachte Krause, denn damit eignete sich dieser Lagerplatz hervorragend sowohl als Versteck als auch als Notausgang, falls ihnen die Polizei zu schnell folgen sollte.
Der Fluchtweg lag damit auch fest. Vielleicht hatte Romy heute mit dem Banker ebenso Erfolg, dann könnten sie bald mit der Durchführung ihres Planes loslegen. Krause fuhr wieder auf die Straße zurück, bog gleich nach rechts ab und chauffierte langsam über die Autobahn zurück nach Düsseldorf, zur in der Nähe des Hauptbahnhofs gelegenen Autowerkstatt.
Als die Haase die kleine Gartenlaube betrat, drückte ihr Krause gleich eine Flasche Bier in die Hand und fragte neugierig, „hast du von dem Geldsack was Interessantes erfahren, Romy?“
„Dieses Mal hat es sich gelohnt, Hans“, sie ergriff schwungvoll die Flasche, setzte sie gleich an den Mund, trank ein paar Schlucke, „ah, das tut gut. Ich glaube, jetzt haben wir den richtigen Ansatzpunkt. Das könnte unser Ding werden, Hans. – Schwarzgeld. – Verstehst du? – Fünf Millionen!“
Beide ließen sich auf ein altes Sofa fallen, das an der schmalen Wand, genau gegenüber der Eingangstür stand.
„Und wo befindet sich das Geld? Weißt du das etwa auch?“ Krause sah die Frau erwartungsvoll an.
Die Haase ließ sich Zeit mit der Antwort, trank genüsslich noch ein paar Schlucke Bier, schlug Hans auf den rechten Oberschenkel, sprang dann plötzlich auf und plapperte fröhlich drauflos.
„Ich habe den so scharf gemacht, dass der mir beim Vögeln den Raum und sogar den Schrank benannt hat, wo sich das Geld befindet, Hans, das ist doch wirklich geil, oder?“
‚Wer dich ficken kann, der verrät alles’, dachte Krause, betrachtete mit Genuss die schönen, weiblichen Formen seiner Partnerin und fühlte schon fast so etwas wie Eifersucht. Aber dieses Gefühl vertrieb er ganz schnell aus seinem Kopf. Beide waren sich gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft einig gewesen, dass sie sich nie aneinanderklammern wollten. Ehrlich wollten sie zueinander sein, sich gegenseitig helfen, auch helfen selbstständig zu sein und das empfand er als gut so.
„Das ist saugeil“, antwortete Hans mit Verzögerung, aber umso temperamentvoller, „sind Raum und Schrank verschlossen?“
„Ja klar. Aber hier“, Romy griff in ihr kleines Täschchen, „sieh mal, was ich hier habe“, und sie hielt das Seifenkästchen hoch, das Hans ihr mitgegeben hatte.
Krause nahm ihr das Teil aus der Hand, öffnete es und brummte zufrieden: „Wunderbar, Romy. In einer halben Stunde haben wir den ‚Sesam, öffne dich‘.“
Er lachte und machte sich gleich an die Arbeit.
Nach ein paar Minuten drehte er sich zu Romy um. „Dann kann es ja eigentlich losgehen, denn das Ersatzauto ist in Dormagen bei den Bayersportanlagen bereits geparkt und den Fluchtplan habe ich auch ausgeknobelt.“
Die Haase nickte stumm.
Schon nach zwanzig Minuten konnte Krause seiner Partnerin den fertigen Schlüssel zeigen, den die ehrfürchtig betrachtete.
„Du bist verdammt geschickt, Hans.“
„Pass auf“, Krause ging zur Wand auf der rechten Seite neben dem Eingang, an der ein Stadtplan hing, zeigte mit dem Schlüssel auf die Karte, sah hin und wieder zu Romy, die sich neben ihn gestellt hatte und erläuterte, wie sie vorgehen könnten. Zum Schluss sagte er, „wenn etwas schief geht, dann hinterlässt der, der noch draußen oder zuerst wieder draußen ist, eine Nachricht in unserem toten Briefkasten am Trafohäuschen außerhalb der Gartenanlage.“
„Alles klar, Hans! Auf keinen Fall werden wir den Bullen irgendetwas verraten.“
„Wenn sie uns oder einen von uns erwischen, dann müssen wir die Strafe eben absitzen.“
„Apropos Strafe, Hans, wie viel wird, – ich meine – könnte das denn in unserem Falle sein?“
Krause musste nicht lange nachdenken, denn auch das hatte er recherchiert. „Bewaffneter Bankraub ergibt bis zu fünf Jahre Gefängnis. Da es sich um Schwarzgeld handelt, wird die Bank in jedem Falle eine relativ kleine Summe angeben. Also gehen wir mal von fünf Jahren aus.“
„Ganz schön happig“, konnte sich Romy nicht bremsen zu sagen, aber sie hob gleich beschwichtigend die rechte Hand, um einen Einwurf von Hans abzuwehren, „schon gut! Das ist kein Problem. Das stehe ich durch. Schließlich haben wir auch das trainiert.“
Ja, die Zwei hatten an alles gedacht. Glaubten sie zumindest. Dass das Leben manchmal ganz anders verläuft, wussten sie zwar auch schon, aber was man planen konnte, das hatten sie getan und daran glaubten sie. Wenn es anders kommen sollte, dann mussten sie eben improvisieren. Sie waren jung genug, um sich mit solchen Gedanken nicht von ihren Plänen abbringen zu lassen.
Noch an diesem Abend wurde ihnen klar, dass sie die Aktion schnell durchziehen mussten, denn vielleicht erinnerte sich der Geldsack Dr. Hubertus von Stielemann doch daran, dass er das Versteck für das Schwarzgeld verraten hatte? Also beschlossen sie schon am nächsten Tag, am Donnerstag, dem 9. Februar 1978 kurz vor 18 Uhr, den Bankraub auszuführen.
Als Hauptkommissar Heinrich Zimmermann am Freitag pünktlich um 10 Uhr die Bank betrat, herrschte hier ruhiger Geschäftsbetrieb, wie an jedem anderen Tag, als hätte es gestern keinen Banküberfall gegeben. Allerdings kam heute sofort ein Angestellter auf ihn zu, wies ihm den Weg zum Flur in den hinteren Teil der Bank, hielt ihm dort die Pendeltür auf und geleitete den Polizeibeamten zu den Räumen, in denen auch Dr. Hubertus von Stielemann sein Büro hatte. Der Bankmann klopfte, wartete auf das schon nach kurzer Zeit deutlich hörbare „herein!“, öffnete die Tür, hielt sie dem Kommissar auf, sodass der ungehindert den Raum betreten konnte, und schloss sie wieder von außen.
Von Stielemann kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ging auf den Polizisten zu. „Guten Tag Herr Hauptkommissar.“ Er schüttelte seinem Besucher die Hand. „Bitte nehmen sie doch Platz“, und er zeigte dabei auf eine gemütliche Sitzecke und beide ließen sich in die bequemen Sessel fallen.
Eine ältere, gut gekleidete Frau servierte sofort Kaffee in einer verschnörkelten – so etwas hatte Zimmermann noch nie gesehen – Thermoskanne, stellte jedem eine Tasse an seinen Platz, dazu eine Schale mit Zucker und ein kleines Kännchen mit Sahne.
„Darf ich einschenken?“, fragte die Sekretärin zuerst den Gast, wartete auf dessen Bestätigung und ließ die schwarze Flüssigkeit in die Tasse laufen, um anschließend sofort auch die des Direktors zu füllen.
„Danke, Sieglinde“, sagte von Stielemann freundlich und wandte sich dann Zimmermann zu. „Wie ich informiert wurde, haben sie zwar den Bankräuber gefasst, aber ohne Beute?“
„Das ist richtig. Wir hoffen allerdings, dass wir das Geld noch finden werden.“
„Das wäre ja sehr wünschenswert, Herr Hauptkommissar. Was kann ich denn sonst noch für sie tun?“
‚Sonst noch?‘, dachte Zimmermann, ‚bisher hast du doch gar nichts zur Aufklärung beigetragen.’ „Da sind nur ein paar kleine Fragen Herr Direktor. Wissen sie denn inzwischen genau, wie viel Geld gestohlen wurde?“
„Bitte verstehen sie mich richtig, Herr Hauptkommissar, das Geld war durch eine Privatperson angefordert und dann nicht abgeholt worden …“
„Entschuldigen sie, wenn ich sie unterbreche, Herr Direktor, aber das begreife ich nicht. Sie müssen doch den genauen Geldbetrag kennen.“
Von Stielemann gluckste zweimal kurz, was nur mit viel Fantasie als kleines Lachen zu erkennen war und erklärte: „Sie haben ja keine Ahnung, mit welchen extravaganten Kunden wir es manchmal zu tun haben. Das fängt schon damit an, dass sie sich nur von einem bestimmten Bankangestellten bedienen lassen wollen. So auch in dem vorliegenden Fall.“
„Wo ist der Mann?“
„Leider, leider ist Herr Sauter noch gestern, nach dem er die spezielle Angelegenheit organisiert hatte, in Urlaub gefahren und ist bedauerlicherweise auch nicht erreichbar.“
‚So, so‘, dachte Zimmermann, ‚dann wird wohl irgendetwas an dem Geld faul sein. Vielleicht handelte es sich ja ganz und gar um Schwarzgeld? Aber woher wussten die oder der Räuber davon?‘ Laut sagte er, „könnte die Angelegenheit eventuell etwas mit Schwarzgeld zu tun haben?“